Leserbriefe

Leserbrief von Ulrich Keitel

Ulrich Keitel

 

  1. Dezember 2015

 

Leserbrief an den Dialog

zum Gespräch mit Dietmar Nietan und dem Artikel von Basil Kerski

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir Deutschen sind gerade dabei, gegen eines der wichtigsten Prinzipien der Bundesrepublik zu verstoßen, das bislang alle Bundeskanzler, insbesondere Adenauer und Kohl, aber auch Brandt und Schmidt hochgehalten haben: dass nämlich die deutsche Politik Einvernehmen mit unseren europäischen Nachbarn herzustellen und zu bewahren hat. Dieses Einvernehmen wurde bereits in der Griechenland-Krise durch die Auflagen und Forderungen Berlins, die in weiten Teilen Europas alte Animositäten gegen Deutschland weckten und uns viel feindliche Kritik einbrachten, nachhaltig gestört. Nun stößt die deutsche Politik in der Flüchtlingskrise bei unseren europäischen Partnern erneut weithin auf Unverständnis und Ablehnung. Das Ausland registriert aufmerksam und kritisch, dass Deutschland mit relativ hohen finanziellen Zuwendungen die Flüchtlings- und Migrantenwelle konditioniert hatte, die sich nun durch die Lockung einer weltweit verkündeten „Willkommenskultur“ auf Deutschland ergießt.

Jetzt, da die Flüchtlinge und Migranten zu zehntausenden und gar zu hunderttausenden über unsere offenen Grenzen nach Deutschland hereinstürmen, fordern wir von den Mitgliedern der Europäischen Union Solidarität. Nach deutschen Vorstellungen soll jedes Land eine festgelegte Quote von umzuverteilenden Flüchtlingen und Migranten bei sich aufnehmen. Aber nur 14 der 28 EU-Mitgliedsstaaten haben Angebote hinterlegt, die sich auf sage und schreibe 1418 Plätze addieren. Zudem wehren sich Flüchtlinge und Migranten mit Händen und Füssen, statt nach Deutschland in andere EU-Mitgliedsländer verbracht zu werden.

Vier osteuropäische Staaten (Polen gehörte nicht dazu) haben auf dem Brüsseler Gipfel vom 22.09.2015 offen erklärt, keine Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Und 15 EU-Mitglieder haben die deutschen Forderungen nach einer Verteilungsquote für Flüchtlinge abgelehnt. Berlin hat sich in dieser Frage offensichtlich isoliert. Nicht zu Unrecht sehen die Medien und Regierungen dieser Länder in der Flüchtlings- und Migrantenwelle primär ein deutsches, weil von Deutschland verschärftes Problem. Realistischerweise ist davon auszugehen, dass die Umsetzung des deutsch-Brüsseler Verteilungsplanes an der mangelnden Mitwirkung unserer Partnerländer wie am Widerstand der Betroffenen scheitert. Sollte diese Regelung doch mit Gewalt durchgesetzt werden, dürfte der deutschen Polizei die heikle Aufgabe zufallen, die sich wehrenden Menschen in Züge oder Busse zu verbringen.

Während die große Mehrzahl unserer EU-Partnerländer seit eh und je deutlich geringere Zuwendungen als wir Deutsche an Flüchtlinge und Migranten geben und weit davon entfernt sind, eine „Willkommenskultur“ zu verkünden, hat Deutschland auf diesen Feldern alle EU-Mitglieder mit Ausnahme Schwedens übertroffen. Dies ist die Erklärung dafür, dass fast alle Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland streben und die Meisten bei uns landen. Ist es da nicht an Deutschland, seine Sonderrolle in der Flüchtlings- und Migrantenpolitik zu überprüfen und an das Niveau unserer europäischen Partner anzugleichen? Dies wäre ein Akt der Solidarität, den allerdings wir zu erbringen hätten. Das würde langfristig auch zu einer Entlastung in der Flüchtlings- und Migrantenkrise führen.

Inzwischen mehren sich Stimmen aus den Herkunftsländern, die Deutschland eine Senkung der Bezüge für Migranten nahelegen. So erklärte der serbische Ministerpräsident Alexander Vucic gegenüber der FAZ (vom 26.08.2015): „Im Durchschnitt erhält jeder Flüchtling in Deutschland 580 Euro im Monat, ohne irgendetwas tun zu müssen. In Serbien beträgt der Durchschnittsverdienst nur 400 Euro ... Deutschland sollte die Bezüge auf 200 Euro senken, dann kämen sofort 80 Prozent weniger Flüchtlinge vom Balkan.“ Über die 80 Prozent mag man streiten. Aber tendenziell hat der Serbe recht. Eine Absenkung der deutschen Zuwendungen wäre ein wirksamer Beitrag, um die Migrantenwelle zu dämpfen. Immerhin hat die Bundesregierung kürzlich einige Kürzungen und Veränderungen beschlossen. So sollen ab sofort die Flüchtlinge und Migranten Sachleistungen statt Geld bekommen. Das ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre Verpflichtungen aus Artikel 16a unseres Grundgesetzes wie aus völkerrechtlichem Asylrecht bislang erfüllt. Wir Deutsche wollen, dass dies auch in Zukunft aus rechtlichen wie aus humanitären Gründen geschieht. Das können wir angesichts des Ansturms auf Dauer aber nur leisten, sofern abgelehnte Asylbewerber unverzüglich abgeschoben werden.

 

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Keitel

Mitglied der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Frankfurt am Main

 

Leserbrief von Jürgen Kirschning

Sehr geehrter Herr Kerski,

 

bisher hatte ich einen sehr positiven Eindruck von Ihrer Zeitschrift. Sie hat mich über Aspekte der polnischen Politik und Geschichte und speziell über das deutsch-polnische Verhältnis unterrichtet, die meine Gewissheit bestärkten, dass Europa an dieser östlichen Nahtstelle zusammenwächst, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben und diese auch erkennen und nutzen.

Mich verwundert, dass Sie einem deutschen Korrespondenten aus Berlin ein Forum geben, sich über die sog. Russland-Versteher auszulassen. Vieles von dem, was er hervorhebt, ist mir als polnische Haltung bekannt und als solche verständlich. Ein Deutscher aber sollte die deutsche Mehrheitsmeinung unseren polnischen Nachbarn gegenüber anders als nur kritisch reflektieren. Erschreckt hat mich die Kritik an Deutschlands Ablehnung, auf Grund der Ukraine-Krise Truppen in Polen zu stationieren. Polen ist NATO-Mitglied, die Ukraine nicht. Und nicht Polen wird von Russland bedroht. Eine Stationierung wäre deshalb eine unpassende und wenig glaubwürdige Drohgebärde, die nur geeignet wäre, Spannungen  zu erzeugen. Diplomatische Schritte dieser Art sind der Bundesrepublik seit ihrer Gründung fremd. Wünscht sich Herr Joachim Trenkner eine Außenpolitik à la Kaiser Wilhelm II ?

Ich habe mich zu diesem Leserbrief entschlossen, nicht um gedruckt zu werden, sondern um Sie zu bitten, die polnische Sicht durch Polen vertreten zu lassen, den deutschen Standpunkt aber differenziert zu erklären.  

 

Mit freundlichen Gruessen

 

Jürgen Kirschning

Leserbrief von Wolf Dieter Kühn

Leserbrief von Froben Schultz

Meiner Meinung ist auf das Flugzeugunglück von Smolensk, bei dem viele Persönlichkeiten der polnischen Zeitgeschcihte (z.B. Anna Walentynowicz) umkamen und die darauffolgende Trauerwoche nur unzureichend eingegangen worden. In Deutschland konnte man eindeutig mit dieser Art von Trauer nichts anfangen und man war dankbar als die großen deutschen Zeitungen dem verwunderten Publikum durch polnische Intellektuelle wie Adam Krzeminski, Andrej Stasiuk und Olga Tokarczuk uns diese Welt erklärten. Es war ihrer Meinung alles dem romantisch-patriotischen Impulsen und einem "Opferrollenselbstverständtnis" geschuldet, im übrigen das Ganze von konservativen Medien missbraucht. Somit konnte der Deutsche Leser das in eine seiner beliebten Schubladen einordnen. Auch Zdzislaw Najder im "Dialog" geht in seinem ohne Zweifel sehr guten und interessanten Artikel in diese Richtung. Bei aller Wertschätzung der oben Genannten, wird dies dem Thema doch nicht in allem gerecht. Ich war die zweite Hälfte dieser Trauerwoche in Polen und hatte andere Empfindungen. 

Olga Tokarczuk meinte, es gäbe viele, die so denken wie sie. Das ist sicher richtig und entspricht pluralistischen Gesellschaften. Aber es gab auch viele andere. Ich weiß von vielen, die in dieser Woche emotional ganz bei dieser Trauer waren (auch um den verstorbenen Präsidenten) und später Komorowski gewählt haben. Auch wenn manche konservativen polnischen Zeitungen ihr eigenes Süppchen kochten, so fanden die Menschen ihre eigenen Wege damit umzugehen. Wir hatten bei uns im Krakauer Haus in Nürnberg eine Veranstaltung bei der ein Teilnehmer meinte, er lebe schon lange in Deutschland und er sehe das Wirken der Brüder Kaczynski sehr kritisch, aber er glaube das die allgemeine Trauer echt und authentisch sei, vor allem weil die zu beklagenden Toten "Frauen und Männer des Volkes" gewesen, keiner privilegierten politischen oder gesellschaftlichen Klasse angehörig. Ich denke damit trifft er den Kern- es waren Politiker und Würdenträger die alle dem freien Polen und seiner demokratischen Prozesse entstammten. Hier musste auch keine Trauer verordnet werden für Leute die Polen vorgesetzt wurden, sondern die aus ihm selbst kamen. 

Ich habe im übrigen vieles der Berichterstattung (in Polen) in dieser Trauerwoche als sehr würdig und der Sache angemessen empfunden. Die kleinen Portraits über einzelne Tote im Fernsehen, die Fahnen an den Häusern, die Bildtafeln auf den Marktplätzen, die niemand einzeln hervorhoben. Dann die große Trauerfeier für alle Opfer am Tag vor der Beisetzung des Präsidenten. Hier war mir besonders eindrücklich in Erinnerung die Worte und das Auftreten der evangelisch-augsburgischen Würdenträger. 

Es gab so viele kleine Gesten, wie z.B. die, dass die "Rzeczpospolita" bei den regelmäßig veröffentlichten Umfragewerten der Präsidentschaftskandidaten im Internet unter den Ergebnissen der Kandidaten immer die zwei schwarzumrandeten Fotos von Jerzy Szmajdzinski (der abgestürzte eigentliche Kandidat der Linken) und Lech Kaczynski, beide gleich groß abgebildet wurden. Auch das gehörte zum Bild der Medien, dass bei uns nicht denkbar wäre. 

Trauerrituale sind so alt wie die Menschheit und wir sollten es bedauern das in Deutschland diese Art von Trauer verloren gegangen ist. Man nehme nur verschiedene Aspekte wie mit dem Unglück von Duisburg umgegangen wurde und wie die Medien hier zum Teil pietätlos berichtet haben. 

Unabhängig wie der aktuelle Streit um das "helle Kreuz" vor dem Präsidentenpalast ausgeht oder was die Unfall-Untersuchungen zutage bringen, diese Trauerwoche sollte als großes gemeinsames Erlebnis wahrgenommen werden und so gewürdigt werden. Viele Russen (im Gegensatz zu uns Deutschen) haben es mitempfunden. Der Publizist W.Kostikow schrieb in "Argumenty i Fakty": 
"Es herrschte Verwunderung über dieses Maß an Solidarität, das die polnische Gesellschaft im Angesicht der Tragödie demonstrierte. Wir haben eine Reife der polnischen Gesellschaft gesehen, von der wir hinter dem Schleier alter Streitigkeiten keine Ahnung gehabt haben."

1.8.2010, Froben Schultz

Antwort von Joachim Trenkner auf den Leserbrief von Birk Engmann

Es freut mich besonders, dass ein Leipziger auf meinen Text "Glücksfall der deutschen Geschichte" in dem deutsch-polnischen Magazin DIALOG reagiert hat. Ich denke oft und gern an meine Leipziger Studienjahre (1954 bis 1959) zurück. Auch die unverblümte Heftigkeit ihrer Reaktion hat mich gefreut. Ich muss offenbar einen Nerv getroffen haben. Allerdings halte ich Ihre Erregtheit für wenig begründet. Lassen Sie mich deshalb auf ein paar wenige Punkte eingehen. Sie unterstellen mir, dass "Deutsch ist, was im westdeutschen Teilstaat … passierte …". In keiner Zeile des Textes war davon die Rede. Ich hielt die DDR, die Ostdeutschen teilweise für viel deutscher, alt-deutscher als die Westdeutschen. Nur: der Geltungsbereich des Grundgesetzes erstreckte sich nun einmal - leider - nicht auf das Gebiet der DDR, jedenfalls nicht in den ersten 40 Jahren seiner Gültigkeit. Was im zweiten deutschen Staat geschah war deshalb nicht mein Thema. 

Die "Menschen in Ost und West" haben sich übrigens nicht erst seit den Leipziger Montagsdemonstrationen nach der deutschen Einheit gesehnt. Das war auch schon früher so. 

Die "personell unbewältigte Nazivergangenheit" hat mich übrigens nicht daran gehindert, gleich nach dem Studium in den "Geltungsbereich des Grundgesetzes" zu wechseln - wie über drei Millionen Menschen mit mir. Bereut habe ich diesen Schritt in keiner Sekunde. 

Und was die alten Nazis anbelangt: Die gab es in der Regierungsstruktur der DDR in gleichem Masse. Wer hat die NVA aufgebaut? Nazioffiziere. Wer hat eigens eine Partei, die NDPD, gegründet, um alte Nazis aufzufangen und zu kontrollieren? Die DDR. 

Nein, verehrter Leipziger, die braune Sauce, die war nicht westdeutsch, die war absolut gesamtdeutsch. Sie fragen außerdem "Verhinderte Adenauers strikter Westkurs möglicherweise eine Einheit nach österreichischem Modell?" Ganz klar: Ja, Gott sei Dank! 

Und dies noch: Die Glorifizierung der Leipziger Demonstranten gehört doch zur ostdeutschen Legendenbildung. In Wahrheit waren es doch Revoluzzer der letzten Stunde. Das berühmte Transparent von Demonstranten auf dem Prager Wenzelsplatz im Herbst 1989 trifft die damalige Entwicklung wahrhaftiger: "Polen 10 Jahre, Ungarn 10 Monate, DDR 10 Wochen, CSSR 10 Tage". All die anderen derzeitigen Scheindebatten - neue Verfassung, Verlängerung der Deutschen Hymne um einen Vers der DDR-Hymne - werden keinen Bestand haben. 

Sie und ich sind - wie Sie gemerkt haben - völlig unterschiedlicher Meinung. Schön, dass dies möglich ist unter dem Dach des 60-jährigen Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Finden Sie nicht auch? 

Joachim Trenkner

Auszüge aus einem Leserbrief von Dr. Birk Engmann aus Leipzig zum Artikel "Glücksfall in der deutschen Geschichte" von Joachim Trenkner

Der Leitartikel von Joachim Trenkner "Glücksfall in der deutschen Geschichte" ist exemplarisch und empörend zugleich. Exemplarisch, weil sich hier der Alleinvertretungsanspruch der alten Bundesrepublik, der gegenwärtig die Medien unisono beherrscht, offenbart. Deutsch ist, was im westdeutschen Teilstaat, der ja noch eher als die DDR gegründet wurde, passierte, während der Osten allenfalls zur vorübergehend sowjetisch besetzten Enklave verkommt. Deutschland liegt im Westen. Was soll der ahistorische Unsinn in den heutigen Medien, die Geschichte vor dem 3. Oktober 1990 neu zu definieren und aus zwei von der UNO anerkannten deutschen Teilstaaten irgendein Deutschland zu konstruieren? 

Damals haben sich die Menschen in Ost und West nach einer Wiederherstellung der deutschen Einheit gesehnt, und den Begriff Deutschland verdeutlichte einst sehr prägnant ein Plakat auf der Leipziger Montagsdemonstration: BRDDR. Warum jetzt diese Umdeutung der Geschichte aus der Antizipation der 1989er Ereignisse heraus? Wurde Deutschland 1954 Weltmeister, hatte Deutschland ein Wirtschaftswunder? (…) 

Empörend ist der Artikel, weil er in platter Lobhudelei mit "sauberen und überschaubaren Kurven" zu einer kritiklosen Banalität verkommt. Wo bleibt die kritische Sicht auf die westdeutsche Nachkriegsgeschichte, auf die personell unbewältigte Nazi-Vergangenheit? Über 80 Prozent der bundesdeutschen Justizbeamten waren zuvor dem NS-Regime dienlich. (…) 

Verhinderte Adenauers strikter Westkurs möglicherweise eine Einheit nach österreichischem Modell - in Neutralität? Wo war das Nein zur Stationierung von Atomraketen auf westdeutschem Gebiet in den 1980er Jahren? Musste erst ein Barack Obama dreißig Jahre später kommen, um den Wunsch nach einer atomwaffenfreien Welt zu formulieren? Kritik? Nichts dergleichen wird in dem Artikel von Joachim Trenkner beleuchtet. Er fasst zu kurz, die Wertschätzung eines Gesellschaftsmodells auf ihre ökonomischen Erfolge reduzierend. (…) 

Auch in der Analyse der Wende in der DDR greift Trenkner zur kurz. Entscheidend war nicht, dass "selbst die Sowjetpanzer … in den Depots blieben." Der Umkehrschluss ist richtig. Erst der Reformkurs von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion nahm den DDR-Machthabern ihren Rückhalt und verbreitete Mut und Zuversicht. Es war nicht ein Ronald Reagan, der mit seinen verbrecherischen SDI-Spielereien die Welt an den Rand eines dritten Weltkrieges brachte, es war kein Helmut Kohl, der zwar die Gunst der Stunde in verdienstvoller Weise für die Einheit nutzte; - im Herbst 1989 waren es die 70.000 friedlichen Demonstranten in Leipzig, die durch ihren Mut die erste deutsche Demokratie, die aus einer geglückten und vollkommen friedlichen Revolution hervorging, schufen! Das war der "Urknall". Und der war am 9. Oktober 1989. Sind die Mutigen je belohnt worden? Haben sich nicht stattdessen die alten Eliten wie stets in der deutsch-deutschen Geschichte reingewaschen und angepasst - die alten Nazi-Größen in der westdeutschen Nachkriegszeit wie die schmierigen Stasispitzel und SED-Kader mit ihren Blockflöten als Erfolgmodell des anpassungsfähigen Ossis? 

Auch die Sicht des Autors auf die Zeit nach der Wiedervereinigung ähnelt allzu sehr dem altbekannten Schema schwarz und weiß: Das "gewaltige Aufbauwerk", das dem undankbaren, ewig skeptischen "Homo sowjeticus" zuteil wurde! Grenzt das nicht an Beleidigung für Menschen, die einst Basisdemokratie lebten, einst runde Tische etablierten? (…) 

Problematisch ist, dass es auch im Jahr 20 der Wiedervereinigung schwierig ist, unvoreingenommen über deutsche Geschichte zu diskutieren und historische Tatsachen zu akzeptieren, anstatt sie zu verwässern oder gar umzudeuten. Was soll es, die Existenz zweier deutscher Staaten und damit vor allem die DDR nachträglich ungeschehen machen zu wollen? Identität ist nicht eine Frage, unter welchen Verhältnissen man in einem Land lebt, frei oder reglementiert, mit vollen Schaufenstern oder leeren. Identität ist stets ein Stück Biografie, egal ob sie schmerzliche oder angenehme Erinnerungen aufweist. (…) 

Dass die "Ossi-Wessi-Gegensätze" einst verschwinden - hierin mag der Autor recht haben. Längst hat der Alleinvertretungsanspruch der alten Bundesrepublik Eingang in die Gazetten, Geschichtsbücher und den Alltag gefunden. Vorwärts zum 60. Jahrestag! 

Dr. Birk Engmann, Leipzig

Auszüge aus einem Leserbrief von Dr. Birk Engmann aus Leipzig zum Artikel "Glücksfall in der deutschen Geschichte" von Joachim Trenkner; Dialog Nr. 87/2009

Bioenergienutzung in Polen - Eine Konzeptidee für eine deutsch-polnische Bioenergiepartnerschaft

Das Deutsch-Polnische Magazin DIALOG hatte in seiner Ausgabe Nr. 84 (2008) die Energiefrage mit ihrer europäischen Dimension und der besonderen Energiesituation in Polen als Schwerpunktthema aufgegriffen. Eine nachhaltige, klimaverträgliche Energiesicherheit für Polen kam dabei allerdings zu kurz. Im Mittelpunkt stand vielmehr die - zwar nicht beantwortete - Frage nach der generellen energiepolitischen Sicherheit Polens in der Zukunft. Eine berechtigte Frage angesichts der wiederholten Gaskonflikte mit Russland. Polen großes Problem ist zurzeit sein veraltetes fossiles Energieversorgungssystem wie die Kraftwerke, die Stromverteilungsinfrastruktur, aber auch die Transitproblematik mit russischem Erdgas. (...) 

Eine Energiepolitik "weg von fossilen Energieträgern" sollte daher auch für Polen im Sinne der Vorgaben der EU Priorität haben, damit es zukunftsfähiger - und auch unabhängiger von Russland - zu werden. Klimaschutz, Versorgungssicherheit und bezahlbare Energiepreise müssen hierfür Grundlage sein. Damit geht es um die Förderung und Nutzung von erneuerbaren Energien (Wasser, Sonne, Wind, Biomasse und Geothermie), vorrangig um Biomasse der Land- und Forstwirtschaft, um die Steigerung der Energieeffizienz, um Energiesparen und um ein Programm für "saubere" Kohle. (…) 

47 Prozent des polnischen Staatsgebiets sind landwirtschaftliche Nutzfläche und ca. 30 Prozent Wald. Dieser große Reichtum ermöglicht, einen beachtlichen Teil der benötigten Energie aus Biomasse zu gewinnen. Zugleich können biogene Rest- und Abfallstoffe in die Bioenergienutzung mit einbezogen werden. Das Potenzial an nutzbarer Biomasse ist daher sehr hoch. (…) 

In Deutschland wurde seit 2004 durch Förderprogramme, insbesondere aber mit dem inzwischen schon international häufig kopierten Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Nutzung von Biomasse für die Energieerzeugung entscheidend vorangebracht. Über 100.000 neu entstandene Arbeitsplätze in der Bioenergienutzung runden das Bild ab. Daher verwundert es nicht, dass in Deutschland schon ca. 4.800 Biogasanlagen in Betrieb sind, in Polen ca. fünf. (…) 

Deutschland hat damit insgesamt viel Know-how und Erfahrungen, die zum beiderseitigen Vorteil genutzt werden könnten. (…) 

Deutsche und polnische Regionen, Akteure und einschlägige Firmen sollten zusammengebracht werden, um die nachhaltige Entwicklung der ländlichen Räume durch kluge bioenergetische Konzepte voranzubringen und Modellregionen aufzubauen. Die Konzeptidee ist, die unmittelbare partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen deutschen Bioenergieregionen oder -dörfern mit polnischen Regionen, Kreisen oder Kommunen. In einer engen deutsch-polnischen Bioenergiepartnerschaft sollen in bilateralen Pilotprojekten Bioenergienutzung und die Erhöhung von Energieeffizienz gemeinsam entwickelt werden. (…) 

Im Sinne der Zielsetzung sind gemeinsame Entwicklungs- und Kooperationsprojekte von Gemeinden und Regionen in Polen und Deutschland auszuwählen, zu vernetzen und bei der Entwicklung und dem Ausbau der entsprechenden Modell-Bioenergieregionen / -Bioenergiedörfer mitzuhelfen. (…) 

Die Regionen verfügen über unterschiedliche Biomassepotentiale und Wachstumsoptionen zur Erzeugung und Nutzung von Strom, Wärme/Kühlung und Biokraftstoffen, sodass modellhaft unterschiedliches Know-how, unterschiedliche Verfahren und Technologien zum Einsatz kommen können. (…) 

Die nötige Finanzierung könnte durch deutsche und polnische Stellen ressortübergreifend erfolgen. (...) Fördermittel aus dem europäischen Strukturfonds sind vorhanden. Im EU-Haushalt 2006 konnten 32 Milliarden EUR wegen zu wenig qualifizierter Projekte nicht abgerufen wurden. Auch in Polen nicht. 

Mit dem Modellprojekt "Deutsch-polnische Bioenergiepartnerschaften" bietet sich jetzt ein wegweisendes Projekt für eine nachhaltige Regional- und Strukturentwicklung im ländlichen Raum an. 

Bonn/Hamburg, den 20. Februar 2009 

Gerd Kaldrack, Bonn, Politikwissenschaftler
Hartwig Zillmer, Hamburg, Lehrer, Sprecher AG Umwelt und Ökologie der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Hamburg

DIALOG

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