Große Politik und Geschichten vom Alltag

Eine Laudatio auf den Träger des DIALOG-Preises 2010, die TV-Redaktion "Kowalski trifft Schmidt"

Anspruch der Redaktion ist es, alle Themen, die die Menschen in beiden Ländern und entlang der Grenze bewegen, vorzustellen - kurzweilig, unterhaltsam, packend und innovativ. "Wir versuchen, die ,große Politik’ am Beispiel nachvollziehbarer Geschichten zu präsentieren. Wir bilden Kultur, Kunst, Alltag und Zeitgeschichte ab und geben jeder Sendung eine gedankliche Überschrift", sagt Petra Lidschreiber, die Leiterin der Mittel- und Osteuroparedaktion beim rbb. 

Kowalski trifft Schmidt - alle 14 Tage im Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb), im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) und auf EinsExtra. "Kowalski trifft Schmidt" für jeweils eine halbe Stunde und sie reden über alles, was Deutsche und Polen bewegt. Auf Polnisch heißt die Sendung "Kowalski i Schmidt", also "Kowalski und Schmidt". Der Redaktion gefällt dieser Name übrigens besser, denn heute sei es ja nichts Besonderes mehr, wenn ein Deutscher einen Polen treffe. Das stimmt, denn Deutsche und Polen sind Nachbarn - ohne eine Grenze. Man fährt heute von Deutschland nach Polen und von Polen nach Deutschland, wie von hier aus nach Dänemark oder in die anderen europäischen Nachbarländer im Norden, Westen und Süden. Dass Begegnungen zwischen Deutschen und Polen heute nichts Besonderes mehr sind, dazu hat auch die ausgezeichnete und heute auszuzeichnende Sendung beigetragen. 

Geri Nasarski, die frühere Chefredakteurin des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) und ehemalige Polenkorrespondentin des ZDF ist - sozusagen - die Mutter dieses Magazins, die Erfinderin und die Beschützerin. Geri Nasarski, die auch lesenswerte Bücher über Polen geschrieben hatte, brachte diese Fernsehsendung auf den Weg. Das war 1993 noch beim ORB, und seitdem wird "Kowalski trifft Schmidt" vom heutigen rbb und von tvp Wrocław produziert. Die charmanten und klugen Ola Rosiak und Daniel Finger moderieren diese Sendung. Anspruch der Redaktion ist es, alle Themen, die die Menschen in beiden Ländern und entlang der Grenze bewegen, vorzustellen - kurzweilig, unterhaltsam, packend und innovativ.

"Wir versuchen, die ,große Politik’ am Beispiel nachvollziehbarer Geschichten zu präsentieren. Wir bilden Kultur, Kunst, Alltag und Zeitgeschichte ab und geben jeder Sendung eine gedankliche Überschrift", sagt Petra Lidschreiber, die Leiterin der Mittel- und Osteuroparedaktion beim rbb. Auch Vorurteilen wie "polnische Autodiebe" oder "deutsche Gründlichkeit" geht die Redaktion nicht aus dem Weg, sondern pickt sie auf, und schaut nach, was dran ist. Das ist mal satirisch, mal feuilletonistisch oder auch investigativ. Der "Club der polnischen Versager" tritt in unregelmäßiger Folge mit kleinen Satiren wie "Berlin als polnische Hauptstadt" oder die "Rückführungsaktion für polnische Berliner" auf. 

Immer wieder versucht die Redaktion, aus "Kowalski"-Themen auch längere Filme zu machen. Zurzeit ist ein 30-minütiges Porträt in Arbeit über den ehemaligen polnischen Außenminister Władysław Bartoszewski. Er hat mit seiner Politik und seinem persönlichen Einsatz auch den Weg zur Aussöhnung geebnet, der Deutsche und Polen nach einer leidvollen Geschichte wieder zu guten Nachbarn in einem vereinten und freien Europa gemacht hat. So wie auch sein deutscher Amtskollege Hans-Dietrich Genscher. 

Es gab viele Menschen, die sich um die Verbesserung der oft so schwierigen deutsch-polnischen Beziehungen verdient gemacht haben. Ich erinnere an den Brief der polnischen katholischen Bischöfe an die deutschen Bischöfe mit der Botschaft: "Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung." Ich erinnere an die Denkschrift der evangelischen Kirche in Deutschland - im selben Jahr 1965 - über die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn. Ich erinnere an die, im Bensberger Kreis zusammengeschlossenen katholischen Laien, die sich 1968 in einem Memorandum solidarisch erklärten mit den Absichten der EKD-Denkschrift und meinten, die Deutschen müssten sich mit dem Gedanken vertraut machen, die Rückkehr der Oder-Neiße-Gebiete in den deutschen Staatsverband nicht mehr fordern zu können. Die EKD plädierte für eine neue Partnerschaft mit Polen im Geiste der Versöhnung und setzte sich für eine sorgfältige Überprüfung der deutschen Ostpolitik sowie die Respektierung der jetzigen Grenzen ein. Ich erinnere an den Dezember 1970, als Willy Brandt in Warschau ein neues Kapitel in den deutsch-polnischen Beziehungen begann. In Erinnerung an den millionenfachen Mord fühlte Kanzler Brandt sich auf einem "Prüfstand der Geschichte". Vor dem Ghetto-Denkmal kniete er nieder. Den Kniefall von Warschau habe er nicht geplant gehabt, schrieb Brandt in seinem Buch "Begegnungen und Einsichten". Der kommunistischen Propaganda allerdings passte das Zeichen von Schuld und Sühne, das zugleich ein Zeichen der Versöhnung sein sollte, nicht ins Konzept. Ich erinnere an die bedeutende Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985, die auch und gerade in Polen große Beachtung fand. Der Bundespräsident würdigte auch die Heimatvertriebenen, die sich beispielhaft zum Gewaltverzicht bekannt hätten. Die eigene Heimat sei aber mittlerweile anderen zur Heimat, sagte der Bundespräsident und fügte dann hinzu, den widerstreitenden Rechtsansprüchen das Verständigungsgebot überzuordnen. 

Als die Polen schließlich eine freie Gewerkschaft erkämpften, wuchs ihnen auch in der Bundesrepublik viel Sympathie zu. Deutsche halfen den wirtschaftliche Not leidenden Nachbarn mit einer Flut von Paketen. In Polen entstand auch dadurch ein neues Bild von den Deutschen. Der deutsche Historiker Gotthold Rhode erinnerte an die Polen-Begeisterung in Deutschland nach dem Novemberaufstand 1830 und wies darauf hin, dass Deutsche und Polen in der Geschichte über Jahrhunderte als friedliche Nachbarn zusammengelebt haben. Es waren gerade die vielen menschlichen Begegnungen, die Partnerschaften und die großzügige Hilfe, mit denen Vorurteile abgebaut wurden. 
Wie sah es nun mit dem anderen deutschen Staat aus, den es glücklicherweise nicht mehr gibt? Offiziell mussten sich die im Bruderbund vereinigten Nachbarn mögen, so jedenfalls wollte es jahrelang die kommunistische Propaganda. Obwohl die DDR bereits 1950 die Oder-Neiße-Grenze anerkannt hatte und 1967 mit Polen einen "Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit" schloss, wurde aus der Freundschaft nie etwas. Den Tiefpunkt erreichten die Beziehungen, als in Polen die unabhängige Gewerkschaft "Solidarność" entstand. SED-Chef Erich Honecker drohte: "Die Volksrepublik Polen ist und bleibt ein sozialistisches Land. Sie gehört untrennbar zur Welt des Sozialismus. Das werden wir gemeinsam mit unseren Freunden sichern." Aus Furcht vor dem "polnischen Bazillus" schränkte die Führung in Ostberlin Kontakt zu Polen drastisch ein und schaffte den visumfreien Grenzverkehr, der einst als Ausweis brüderlicher Verbundenheit eingeführt worden war, wieder ab. Für Polen wurde es leichter, in die Bundesrepublik zu reisen als in die offiziell befreundete DDR. An den Grenzen der DDR schikanierten die Zöllner vor allem die Polen. In der Zeit der Solidarność scheute die SED-Propaganda sich nicht, antipolnische Vorurteile zu bestärken. Mehrmals stand im "Neuen Deutschland" an die Adresse der Polen: "Kein Volk kann ohne Arbeit leben." Die zum Teil verächtlichen DDR-Kommentare blieben in Warschau unvergessen. 

Kein Wunder, dass 1989, nachdem der Volkszorn über den Ostberliner Betonköpfen zusammengeschlagen war, viele Polen eine große Erleichterung empfanden. Und welch eine Genugtuung war es auch für die Polen, als die DDR untergegangen und die Mauer endgültig gefallen war. Diese Mauer hatten die Polen immer auch als ihre Mauer empfunden, die sie vom Westen trennte. Und welch eine Bestätigung der politischen Kultur der Polen, die - wie es der Deutschlandkenner und "Polityka"-Redakteur Adam Krzemiński formulierte - weniger den "guten Herrschern" oben als dem Druck von unten vertraute: " Aus polnischer Perspektive waren weder das Jahr 1989 noch der 3. Oktober 1990 das Lebenswerk politischer ,Titanen‘ wie Michail Gorbatschow oder Helmut Kohl. Man war in Polen vielmehr bereit, der ,deutschen Revolution‘ Beifall zu klatschen. Endlich haben auch sie sich bewegt, meinte man in Polen im Herbst 1989, auch wenn viele hinter vorgehaltener Hand sagten, die Deutschen aus der DDR hätten sich erst gerührt, nachdem andere für sie die ,Kärrnerarbeit‘ geleistet hatten." 

Als hätte die Geschichte Regie geführt, erlebten die Polen aus nächster Nähe den Beginn der Deutschen Einheit. Am berühmten 9. November 1989, dem Tag des Mauerfalls, begann Bundeskanzler Helmut Kohl seinen lange erwarteten Besuch in Warschau. Am Abend trafen die unglaublichen Nachrichten aus Deutschland ein. Am 10. November flog der Kanzler nach Berlin. Tags darauf kehrte er nach Warschau zurück, um seinen Besuch fortzusetzen und den Polen zu sagen: "Ohne den zehnjährigen Kampf der Solidarność für Reformen wären auch die jetzigen Entwicklungen in der DDR unmöglich gewesen." Auf der Danziger Lenin-Werft sei es 1980 um Ziele gegangen, die auch die Deutschen beträfen: um Freiheit, Menschenwürde, Menschenrechte und Selbstbestimmung. In Kreisau dann die historische Umarmung: Helmut Kohl und der erste frei gewählte polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki. Und Hans-Dietrich Genscher erinnert sich, dass ihm am Morgen nach der Öffnung der Mauer, am 10. November 1989, in Warschau der damalige außenpolitische Berater von Lech Wałęsa und spätere Außenminister des demokratischen Polen, Bronislaw Geremek, sagte: "Das ist ein großer Tag auch für Polen, denn wenn Deutschland vereint sein wird, wird Polen Nachbar der westlichen Gemeinschaften sein." 

Was können wir lernen von den Polen? Die Polen haben uns allen gezeigt, wie man eine Parteidiktatur von unten ruiniert. Das polnische Phänomen erkläre sich daraus, meinte der Berliner Politikwissenschaftler Hartmut Jäckel, dass die Polen durch langes Überlebenstraining gehärtet, sich Diktaturen gegenüber nie ambivalent und zwiespältig verhalten hätten. Sie hätten vielmehr im Laufe der Jahrhunderte ihren eigenen, unverwechselbaren Stil entwickelt, mit einer Zwangsherrschaft weder zu paktieren, noch sich mit ihr ohne Gegenwehr abzufinden. Gleichzeitig beklagte Professor Jäckel, manche Politiker in der Bundesrepublik hätten es über viele Jahre hinweg in bemerkenswertem Maße nicht nur an Fingerspitzengefühl, sondern auch und vor allem an sichtbarer Solidarität fehlen lassen. Der ehemalige Regierungssprecher Klaus Bölling hat das jetzt zum 30. Jahrestag der Solidarność noch einmal bestätigt: Ja, man habe sich sehr zurückgehalten, um die regierenden Machthaber nicht zu provozieren. Aus heutiger Sicht sei es eine etwas opportunistische Politik gewesen. 

Es klang dann fast wie eine Wiedergutmachung, als Bundeskanzler Gerhard Schröder im Dezember 2000 - 30 Jahre nach dem Kniefall von Willy Brandt in Warschau - im Sejm sagte, in der Zeit der Solidarität hätten manche deutsche Politiker - auch manche Sozialdemokraten - das Festhalten am Ziel der Stabilität auf eine Art und Weise betont, die der geschichtlichen Bedeutung des polnischen Freiheitskampfes nicht gerecht geworden sei. Der beharrliche Kampf der Polen für Freiheit und Demokratie habe nicht nur den Auflösungsprozess der Sowjetherrschaft beschleunigt, betonte der Kanzler. Ohne Solidarność und den Einfluss der polnischen Freiheitsebene auf die friedliche Revolution in der DDR, ohne die praktische Solidarität der Polen mit den Menschen in Ostdeutschland wäre die Geschichte der Deutschen Einheit zweifellos anders und weniger glücklich verlaufen. Übrigens: Ohne die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze wäre die Deutsche Einheit letztlich nicht zu haben gewesen. 

Was vor 30 Jahren mit der Solidarność begann, hat nicht nur Polen, sondern auch Deutschland und den gesamten europäischen Kontinent verändert. Walęsa, der zu den 20-Jahr-Feiern zum Tag der Deutschen Einheit nach Berlin eingeladen war, sagte in einem Interview auf die Frage: "Stimmen Sie zu, das 1980 in Gdańsk begann, was 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer endete?", mit folgenden Worten: "Ohne Solidarność und den Papst wäre die Berliner Mauer nicht gefallen." Und er fügte dann in der ihm eigenen Art hinzu: "Ich und der Papst haben dem russischen Bären die Zähne ausgeschlagen." Polen war und ist in Europa immer wieder ein Lichtblick in moralischer Hinsicht - mit seinem mutigen Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit. Und Polen hat sich immer als Land im Herzen Europas gehalten. Was vor wenigen Jahrzehnten niemand zu denken wagte, ist heute Realität. Polen ist endlich frei und unabhängig, Mitglied im westlichen Verteidigungsbündnis und Mitglied in der EU, in der es mit einem einzigartigen Wirtschaftswachstum auf sich aufmerksam macht. 

Wenn Kowalski Schmidt trifft, dann haben sie sich viel zu erzählen - über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Die Sendung "Kowalski trifft Schmidt" berichtet über all diese Themen immer wieder spannend und bewegend. Und wenn Begegnungen zwischen Deutschen und Polen heute nichts Besonderes mehr sind, gilt doch nach wie vor: Unsere polnischen Nachbarn wissen sehr viel mehr über uns und unser Land, als wir über Polen. Und auch das Interesse in Polen an Deutschland ist ungleich größer, als umgekehrt. Also Ihr Deutschen: Schaut "Kowalski trifft Schmidt"! 

Zu sehen im rbb, MDR und auf EinsExtra. Die Sendung hat es verdient. Und sie verdient diesen Preis, den DIALOG-Preis 2010. 

 

Friedrich-Wilhelm Kramer 
Journalist, Direktor des NDR Landesfunkhauses Schleswig-Holstein