Warum die Polen den Russen misstrauen

Im Verhältnis der Polen zu Russland und den Russen mischen sich Gefühle der Überlegenheit und der Furcht. Allein erstere lassen sich ohne weiteres als unbegründet einstufen. Wenn die westeuropäischen Eliten und Teile der dortigen Öffentlichkeit dagegen die Gründe für die polnische Angst vor Russland nicht verstehen mögen, wird das von den Polen als Ausdruck von Ignoranz und Naivität gesehen, die geradezu verhängnisvolle Folgen zeitigen und also weitere Befürchtungen auslösen können. 

In Polen erinnern die meinungsbildenden Intellektuellen ihre Landsleute daran, wie unangemessen es ist, sich einer Nation kulturell überlegen zu fühlen, die sich immerhin eines Dostojewski oder eines Tschajkowski rühmen kann, die berühmt für ihr ausgezeichnetes Ballett ist und mit der Petersburger Eremitage eine der größten Kunstsammlungen besitzt. Die Größe und Vielfalt der Errungenschaften russischer Künstler und Wissenschaftler - jeder hat in der Schule schon von Mendelejew und Pawlow gehört - begründet nicht zuletzt die Anerkennung und Wertschätzung, deren sich Russland bei den Westeuropäern erfreut, und zugleich deren Schwierigkeiten, die Abneigung der Polen und anderer ostmitteleuropäischer Nationen wie insbesondere der Balten gegen ihren östlichen Nachbarn zu begreifen. 

Diese Unterschiede rühren daher, dass die westliche Bewunderung für einige Schöpfungen der russischen Kultur auf einem selektiven Verständnis von Kultur beruht und diese eben gerade mit den Höhepunkten von Literatur, Kunst und Wissenschaft gleichsetzt. Dagegen beziehen sich die Polen, die die russische Kultur in allen ihren Facetten aus allzu großer Nähe kennengelernt haben, auf einen weiteren Kulturbegriff, der nebenbei bemerkt demjenigen der Wissenschaft näherkommt. So verstanden, umfasst Kultur auch die Lebensweise, die jeweils dominanten Typen von Mentalitäten und Persönlichkeiten, das zivilisatorische Niveau, den Zustand der Infrastrukturen und das politische System. All das vermag den Polen im russischen Fall nur wenig zu imponieren, ja es ist für sie nachgerade abschreckend. 

Einflüsse aus dem Westen, Bedrohung aus dem Osten 

Es ist eine objektive Gesetzmäßigkeit der Geschichte, dass Polen unter dem kulturellen und zivilisatorischen Einfluss des Westens stand, dagegen Einflüsse aus dem Osten jahrhundertlang eine untergeordnete Rolle spielten. (Diese sollten nicht mit der vom Osmanischen Reich ausgegangenen Spielart von Orientalisierung verwechselt werden, die in die besondere Ausprägung des polnischen Barock eingingen, den Sarmatismus). In den Phasen der polnischen Kulturgeschichte spiegelte sich die westliche Entwicklung über Romanik, Gotik, Renaissance usw., die keine Parallele in Bereich der Orthodoxie besaß. 

Dabei geht es nicht nur um die Unterschiede zwischen dem westlich-katholischen und dem östlich-orthodoxen Christentum, sondern auch um Rhythmus und Geschwindigkeit der Entwicklung. Diese vollzog sich in Polen wie in Westeuropa, hatte aber im Osten keine Entsprechung. Der deutsch-polnische Streit um die ethnische und kulturelle Zugehörigkeit des Johannes Kopernikus kann nur als grotesk gelten, denn dieser wohl hervorragendste Gelehrte der Renaissance absolvierte sein Studium an der Krakauer Universität und verbrachte sein gesamtes Erwachsenenleben im Dienste des polnischen Staates und der polnischen Kirche. Die älteste polnische Universität wurde nämlich 1364 gegründet, also früher als die deutschen (Heidelberg 1386, Wien 1365). Die ersten russischen Universitäten entstanden dagegen erst im 18. Jahrhundert. In kommunistischer Zeit flüsterten gebildete Polen spöttisch und hinter vorgehaltener Hand, die beiden ältesten Universitäten auf dem Gebiet der Sowjetunion seien polnische Gründungen gewesen, nämlich Wilna in Litauen und Lemberg in der Ukraine. Dass diese kulturellen und zivilisatorischen Einflüsse, vom erwähnten orientalischen Zwischenspiel des 17. und 18. Jahrhunderts einmal abgesehen, so ausschließlich aus Westeuropa stammten, lag zum einen daran, dass der russischen materiellen Kultur lange Zeit das Innovationspotential und die Attraktivität fehlten, zum anderen an der in der Ästhetik und im Ritual der Orthodoxie wurzelnden Fremdartigkeit der russischen symbolischen Kultur.

Tiefergehende russische Einflüsse mussten Polen erst mit Gewalt aufgezwungen werden und zogen einen zivilisatorischen und kulturellen Niedergang nach sich. Im 18. Jahrhundert war der russische politische Einfluss, der von einem expansionistischen Zarenreich ausgeübt wurde, nicht mehr zu übersehen noch einzudämmen - bis heute wird er von den Polen mit ihrer nationalen Tragödie assoziiert. Dieser historische Antagonismus rührte nicht nur aus dem Interessenkonflikt der beiden Staaten oder ihrer Monarchien, sondern auch aus der grundsätzlichen Verschiedenheit der beiden politischen Systeme. Polen bildete im 16. Jahrhundert ein eigentümliches Modell von Demokratie aus, zu dem ein Wahlkönig und die Gleichheit aller Bürger gehörten (damals allerdings begrenzt auf den Adel, der aber mit etwa zehn Prozent einen höheren Bevölkerungsanteil hatte als in jedem anderen europäischen Land). Die rücksichtslose, brutale und aggressive Autokratie der russischen Zaren weckte Furcht, mehr noch Abscheu, die mit einem Gefühl der Überlegenheit einhergingen, das aus der ausgiebig zelebrierten "goldenen Freiheit" stammte. Dieses Gefühl erstreckte sich auch auf die Untertanen des Zaren, die ergeben und sogar zustimmend die politische Tyrannei ertrugen. Es lebt bis heute in den Polen fort, und es kann nicht einfach als grundlos abgetan werden.

Die in Jelzins Zeiten gemachten Versuche, in Russland eine Demokratie aufzubauen, endeten im Fiasko, und rückblickend betrachten die Russen diese Zeit als eine des staatlichen Verfalls und des Chaos, während Putin, der dem mit der Wiederherstellung der Selbstherrschaft ein Ende setzte, dadurch zum Idol und Volkshelden wurde. Die Polen von heute haben deshalb Grund für die Annahme, dass die Autokratie ein unauflöslicher Bestandteil der russischen politischen Kultur ist. Der Kontrast mit der zur Anarchie neigenden polnischen Demokratie ist überaus deutlich und spricht für sich. 

Ein erstaunliches Detail ist, dass Putins Russland seinen Staatsfeiertag am 4. November ausgerechnet zur Erinnerung an die Vertreibung der polnischen Okkupanten aus dem Kreml im Jahre 1612 begeht. Dafür war sicher ausschlaggebend, dass dieser Tag nah am 7. November (nach gregorianischem Kalender) liegt, der in der UdSSR als größter kommunistischer Feiertag zu Ehren des bolschewistischen Umsturzes begangen wurde, einem Datum, dem man jetzt einfach einen neuen Sinn überstülpte, während der Bombast der Feierlichkeiten derselbe blieb. Die konsternierten Polen wurden in vorwurfsvollem Ton daran erinnert, dass eine polnische Besatzungstruppe am Anfang des 17. Jahrhunderts während der Einmischung Polens in die Nachfolgekämpfe am Zarenhofe sich viele Monate im Kreml festgesetzt hatte und erst von einem gesamtnationalen Aufstand daraus vertrieben wurde. Im heutigen Russland wird die damalige polnische Herrschaft als außerordentlich niederträchtig und präzedenzlos grausam hingestellt. Das kann man natürlich als martyrologisch-nationalistische Propaganda sehen, aber den Polen bewusst zu machen, dass sie sich einstmals in den Besitz des Kremls gebracht und ihn lange besetzt gehalten hatten, was später auch den mächtigsten Gegnern Russlands nicht mehr gelingen sollte, musste doch gemischte Gefühle wecken. 

Westorientierung und Autokratie 

Die polnische Einstellung zu Russland und den Russen bildete sich jedoch infolge der jüngeren Geschichte heraus, die als eine ständige, aggressive Expansion Russlands auf Kosten Polens verlief. 
Als Russland in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen großen Teil der Ukraine annektierte, wurde das zu einer noch heute als Leitlinie der polnischen Ostpolitik gültigen Warnung: Es darf nicht zugelassen werden, dass Russland sich die Ukraine unterwirft, denn dadurch wird es zu einer für Polen bedrohlichen Großmacht. Eine unabhängige Ukraine garantiert die Unabhängigkeit Polens. Aus diesem Grunde betreibt Polen heute eine wohlwollende Politik gegenüber der Ukraine, trotz der schmerzlichen Ereignisse in den beiderseitigen Beziehungen vor allem während des Zweiten Weltkrieges, und trotz der deprimierenden Vorgänge in der aktuellen ukrainischen Innenpolitik. 

Eine der Paradoxien der russischen Geschichte ist, dass der Beschluss Zar Peters I., die Rückständigkeit und zivilisatorische Unterentwicklung seines Landes durch eine entschlossene und umfassende Verwestlichung zu beenden, im Zusammengang von zarischer Autokratie und dem westeuropäischen aufgeklärten Absolutismus umgesetzt wurde. Damals erlagen wohl erstmals die europäischen Aufklärer der russischen Bezauberung, die später so charakteristisch für die europäischen Eliten und so verwunderlich für die Polen werden sollte. Intellektuelle vom Range eines Voltaire oder Diderot ließen sich von der Vision hinreißen, dass die aufgeklärten russischen Herrscher ihren Staat gemäß den ihren eigenen Idealen politischer Rationalität umgestalteten, ohne wahrzunehmen, dass hinter diesen Maßnahmen brutale, ungeschminkte und rücksichtslose Gewalt stand, ja von den Reformen im Grunde genommen ausgelöst wurde. Später sollte wieder dieselbe unkritische Faszination westlicher Intellektueller für große Modernisierungsunternehmungen aufkommen, als Lenin und Stalin den Kommunismus in Russland an die Macht brachten. 

Einer Verwestlichung Russlands, die darin verstanden wurde, die eigenen Grenzen in westlicher Richtung vorzuschieben, somit territorial in Richtung Westen zu expandieren, stand Polen im Wege. Deshalb wurde es seit dem 18. Jahrhundert zum festen Ziel Russlands, Polen zu beherrschen, zu unterwerfen und sich gefügig zu machen. Aber so, wie durch die Unterwerfung der Ukraine Russland gefährlich für Polen wird, so wird es durch die Unterwerfung Polens gefährlich für Europa, wenigsten für die führenden europäischen Staaten wie insbesondere Deutschland. Deshalb gestattete im 18. Jahrhundert Deutschland, damals also Preußen und Österreich, Russland nicht, sich Polen im Alleingang einzuverleiben, sondern verlangte einen Teil davon für sich. Die Abkommen, die Russland, Preußen und Österreich Ende des 18. Jahrhunderts über die Teilungen schlossen, sind für die Polen bis heute ein Trauma ihrer Geschichte, bedeuteten sie doch die Vernichtung ihres Staates. Dies erklärt die reflexartige Unruhe, welche die Polen ergreift, sobald sich Russen und Deutsche miteinander verständigen, wenn dies über ihre Köpfe hinweg und ohne Rücksicht auf ihre Interessen geschieht. Es reicht nicht zur Beruhigung aus, dass das heutige Deutschland keine bösen Absichten gegen Polen hegt, denn Russland verhehlt zur Zeit nicht, wie es die Partikularinteressen der Mitgliedsstaaten von EU und NATO gegeneinander ausspielt, um sie zu spalten. "Die Europapolitik Russlands ist klar. Moskau will ein Europa der Einzelländer, mit denen es sich der Reihe nach verständigt. Für Deutschland macht sich das durch lukrative Energie- und Handelsverträge bezahlt. Frankreich wird noch erfahren ..." usw. Dies schrieb nicht etwa ein obsessiv russophober Pole, sondern Denis MacShane, ein britischer Politiker. Diese Binsenwahrheit nicht wahrzunehmen, hält man in Polen einem Teil der Eliten und Öffentlichkeit in Westeuropa und in Deutschland als politische Blindheit und Naivität vor. 

Russische Herrschaft, russische Rückständigkeit 

Die über einhundertjährige russische Herrschaft bedeutete für die Polen nicht nur einen zivilisatorischen, sondern auch politischen Rückschritt, während die deutsche, das heißt preußische und österreichische Herrschaft in ihren jeweiligen Teilungsgebieten als in ihren Folgen ambivalenter gesehen wird. Zwar behandeln die offizielle Historiographie und vor allem der schulische Geschichtsunterricht alle drei Teilungsmächte gleichermaßen negativ, aber abseits der offiziellen Geschichtsschreibung sieht man das differenzierter. 

Am günstigsten fällt das Urteil über die österreichische Herrschaft aus, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts politische Autonomie und eine freie Entwicklung der polnischen Kultur in ihrem Teilungsgebiet gewährte. Heute wird die Erinnerung an diese Epoche und ihre Lebensart in jenem Gebiet sogar von Nostalgie begleitet. Es ist ganz bezeichnend, dass die damals zur Habsburgermonarchie gehörenden Westgebiete der heutigen Ukraine sich deutlich von dem Rest der Ukraine unterscheiden, die unter russischer Herrschaft stand. 

Preußen sorgte in seinem Teilungsgebiet für einen deutlichen zivilisatorischen Fortschritt, seine Rechtsstaatlichkeit und Solidität wurden mit Respekt bedacht, die deutsche Kultur war innovativ und attraktiv. Aber eine aggressive Germanisierungspolitik schreckte die Polen ab und provozierte ihren Widerstand. Dennoch befinden sich die westlichen Gebiete Polens noch heute auf einem höheren Entwicklungsstand, und ihre Bewohner sind stärker proeuropäisch eingestellt. 

Russland dagegen galt und gilt als Land, das nichts anzubieten hat außer seinen Rohstoffen, aus denen es aktuell übrigens politischen Gewinn zu schlagen versucht und mittels derer es seine imperialen Intrigen betreibt. Das bringt es nur zusätzlich in Verruf und wirkt abstoßend. 

Kulturelle Ähnlichkeiten und Gegensätze 

All das gilt trotz der äußerlichen Ähnlichkeit der russischen und der polnischen Nation, die auf ihrer gemeinsamen Zugehörigkeit zum Slawentum beruht. Diese hat jedoch in Polen nie eine wesentliche Rolle gespielt, anders als bei denjenigen slawischen Völkern, die entweder unter deutscher Herrschaft standen wie die Tschechen oder unter osmanischer wie die Bulgaren und Serben und die in Russland eine Schutzmacht, einen Vormund oder geradewegs einen Befreier sahen. Es bedurfte erst der ungehemmten Germanisierungspolitik zur Zeit Bismarcks und des unter dessen Ägide gegründeten Kaiserreichs, um einen Teil der polnischen Eliten zu einer Annäherung an Russland als dem weniger bedrohlichen Gegner zu bewegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erneuerte die Sowjetunion in ihrer Propaganda diese Abhängigkeit mit dem Hinweis, dass ihre Vorherrschaft über Polen Schutz gegen die Ansprüche der deutschen Revisionisten gewähre. 

Selbstverständlich kennen und schätzen gebildete Polen die herausragenden Werke der russischen Kultur. Sie sehen sie jedoch als autonome und nicht ganz repräsentative Hervorbringungen dieser Kultur. Ihre Wertschätzung der Werke Tolstojs oder Prokofjews beziehen sie jedoch nicht auf die gesamte russische Kultur. Dadurch unterscheiden sie sich von den Eliten des Westens, die ihre Bewunderung für Tschechow oder das russische Ballett gern auf die russischen gesellschaftspolitischen Institutionen und politischen Führer übertragen, womit sie Russland einen den Polen unbegreiflichen Vertrauensvorschuss bieten. Einen ähnlichen Fehler machten die Polen hinsichtlich der Institutionen, Führer und Funktionäre des "Dritten Reiches", als sie sich einredeten, dass ein Volk, das einen Goethe oder einen Beethoven hervorgebrachte hatte, sich doch nicht kulturlos verhalten könne, und anschließend lange Zeit den Berichten über die Naziverbrechen nicht glaubten, die doch unmöglich von den Landsleuten Kants und Schillers begangen werden konnten. 

Ein Unterschied besteht darin, dass die Deutschen sich seit einigen Jahrzehnten mit den unrühmlichen Aspekten ihrer Vergangenheit im Verhältnis zu den Polen auseinandersetzen (auch wenn wiederum einige ältere Polen bis heute nicht glauben, dass Landsleute Hitlers und Eichmanns anständige Leute sein können), während die Russen vorerst überhaupt keinen Grund dazu sehen und auch kein Bedürfnis verspüren. In Deutschland ist es undenkbar, Errungenschaften der Nazizeit zu glorifizieren, die Führungsqualitäten Hitlers zu loben, die Maßnahmen von SS oder Gestapo zu rechtfertigen und die Naziverbrechen in den Vernichtungslagern abzustreiten oder gar zu entschuldigen. Demgegenüber gibt es in Russland eine allgemeine UdSSR-Nostalgie, wird Stalin nach wie vor für einen der größten Politiker gehalten, erfreuen sich NKVD und KGB allgemeiner Hochachtung - Putin ist das Musterbeispiel eines KGB-Zöglings und -Funktionärs -, und die kommunistischen Verbrechen einschließlich derer gegen Polen werden in Zweifel gezogen oder gerechtfertigt. Dadurch ziehen die heutigen Russen - Erhebungen belegen die allgemeine Verbreitung solcher Einstellungen - die ganze Abneigung gegen Kommunismus auf sich und erschweren es den Polen, einen Trennungsstrich zwischen der russischen Gesellschaft und Kultur und dem sowjetischen Regime mit seinen Verbrechen zu ziehen. 

Da in Polen der Ribbentrop-Molotow-Pakt allgemein in unguter Erinnerung ist, durch den die Sowjetunion und NS-Deutschland ihren gemeinsamen Beschluss zur Beseitigung des polnischen Staates und Auslöschung des polnischen Volkes besiegelten, werden im heutigen Russland unversehens Rechtfertigungen ... der Politik Hitlers gegen Polen aufgebracht. Um die Schande der Kooperation Stalins mit Hitler in den Jahren 1939-1941 abzuschwächen, lassen sich einige russische Historiker und Ideologen zu der Behauptung herbei, dass sich die Deutschen damals völlig korrekt verhalten hätten und ihre Maßnahmen eine Reaktion auf die Provokationen und die Unnachgiebigkeit der Polen gewesen seien. So wiederholen heute einige, allerdings mit offiziellen Ämtern bedachte Russen die Behauptungen der hitleristischen Propaganda. Es lässt sich leicht denken, wie die Polen darauf reagieren. 

Zweifellos gibt es Ähnlichkeiten zwischen Polen und Russen, die in ihrer charakteristischen Gemütsart zum Ausdruck kommen, in ihrer Mitteilsamkeit und Neigung zum Trinken, ihrer Melancholie und Rührseligkeit, und die sich deutlich von der kühlen und zurückhaltenden Gefühlswelt der Deutschen, Skandinavier oder Holländer unterscheiden. Aber es handelte sich dabei nur um eine äußerliche, keineswegs eine innere Ähnlichkeit von Gemütsart und Emotionalität. Hier kommen in ähnlichen Formen ganz verschiedene Erfahrungen und Gefühle zum Ausdruck. 

Einstmals gab es einen Umstand, der Polen und Russen einander ähnlich machte und näherbrachte - die gemeinsame Vorliebe für den Wodka. In den vergangenen zwanzig Jahren haben die Polen diese Vorliebe jedoch abgelegt und sich in ein Volk der Biertrinker verwandelt. Das geschah allerdings weniger unter deutschem Einfluss als vielmehr unter tschechischem, vor allem jedoch dank eines guten Angebots und geschickter Vermarktung durch die polnischen Brauereien, die zu den modernsten und dynamischsten in ganz Europa zählen. 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann 
Janusz A. Majcherek 
Publizist, Professor der Philosophie an der Pädagogischen Universität in Krakau.