Nachdenken und Gedenken: Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt die Ausstellung "Deutsche und Polen - 1.9.39 - Abgründe und Hoffnungen"

Wie positiv sich die Zeiten ändern können: Nur wenige Tage nach der Kapitulation Polens organisierte das Dritte Reich im Herbst 1939 eine Propagandaausstellung von Beutestücken im Berliner Zeughaus Unter den Linden. Genau 70 Jahre später ist das Zeughaus Sitz des Deutschen Historischen Museums (DHM), das in seinem modernen Anbau eine Ausstellung zum Gedenken an den Überfall NS-Deutschlands auf Polen präsentiert. Aus einem Ort, an dem der deutsche Vernichtungsfeldzug gegen Polen verherrlicht wurde, ist ein Ort des Nachdenkens über den Zweiten Weltkrieg, die NS-Besatzungspolitik in Polen sowie zwei Jahrhunderte deutsch-polnischer Beziehungen geworden. 


Die DHM-Ausstellung "Deutsche und Polen. 1. September 1939. Abgründe und Hoffnungen" geht auf die Initiative der Bundesregierung zurück. Da der Deutsche Bundestag - im Gegensatz zum Berliner Abgeordnetenhaus - keine Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges plant, ist in letzter Zeit unter Journalisten und Diplomaten viel spekuliert worden, ob sich die große Koalition mit dieser Ausstellung vor dem Vorwurf schützen möchte, die großen Parteien wollten im Gedenk- und Wahljahr 2009 die Aufmerksamkeit der Bürger nur auf die positiven Kapitel deutscher Geschichte, also 1949 und 1989 lenken, um die Deutschen nicht wieder mit den dunklen Seiten ihrer Geschichte zu konfrontieren. Diese Spekulationen sind vor allem durch die ungewöhnlich kurze Vorbereitungszeit der Ausstellung genährt worden - denn auf einen so kurzen Vorlauf von knapp zehn Monaten lässt sich eine so renommierte und professionelle Einrichtung wie das DHM gewöhnlich nicht ein.

Spekuliert wurde auch über den Zusammenhang zwischen der Kriegsausstellung und dem geplanten "Sichtbaren Zeichen zu Flucht und Vertreibung", das als unselbständige Stiftung unter dem Dach des DHM entsteht. Wollte die Bundesregierung mit einer schnell vorbereiteten Ausstellung zum 1. September 1939 polnischen Befürchtungen entgegenwirken, Berlin betreibe eine Geschichtspolitik an den Nachbarn vorbei? 


Doch legen wir die Spekulationen über die politische Genese der DHM-Ausstellung zur Seite und konzentrieren uns auf die Arbeit der Historiker. Das Team um den Projektleiter Burkhard Asmuss hat innerhalb kürzester Zeit eine in ihrer Größe und Qualität beachtliche Ausstellung auf die Beine gestellt. Auf einer Fläche von 900 m2 und mit rund 750 Exponaten aus verschiedenen deutschen und polnischen Sammlungen stellen die Ausstellungsmacher den Charakter des deutschen Krieges gegen Polen dar, rekonstruieren die bilateralen politischen und kulturellen Konflikte, die zur Vertiefung des deutsch-polnischen Antagonismus lange vor der Machtergreifung der Nazis geführt haben. Sie beenden ihre Erzählung nicht mit dem Kriegsende, sondern dokumentieren auch die weitere Entwicklung der Nachbarschaft bis in die Gegenwart hinein. 

Deutsch-polnische Erinnerungslandschaften 


Das DHM hat bei diesem Projekt nicht nur den Rat so renommierter deutscher Experten wie Christoph Kleßmann, Michael G. Müller und Reinhard Rürup gesucht, sondern auch eng mit polnischen Kennern des Zweiten Weltkrieges (Andrzej K. Kunert, Piotr Majewski, Tomasz Szarota und Rafał Wnuk) zusammengearbeitet. Von diesem intensiven deutsch-polnischen Austausch zeugt vor allem der zentrale Ausstellungsteil über den Zweiten Weltkrieg. In diesem Bereich versuchen die Autoren der Ausstellung nicht nur Wissenslücken von Deutschen zu füllen, sondern auch Einfluss auf die dominierenden Erinnerungsbilder in der Bundesrepublik zu nehmen.

Vor fünf Jahren haben wir in unserem Magazin eine deutsch-polnische Umfrage veröffentlicht, die die Unterschiedlichkeit der historischen Erinnerungen deutlich macht und somit auch die Herausforderung, vor der das DHM bei der Vorbereitung der Ausstellung stand (DIALOG, Nr. 68/2004). In dieser Umfrage wurde von Polen der 1. September 1939 als das wichtigste historische Ereignis der letzten 100 Jahre genannt. Für die Deutschen war es die Vereinigung von 1990 und das Jahr 1945. Das Ende des Krieges mit seinen für die deutsche Bevölkerung katastrophalen Folgen steht im Vordergrund der kollektiven Erinnerung in der Bundesrepublik. Die Kenntnisse über den Kriegsbeginn oder die Genese des Krieges werden immer weniger. Die hohe Qualität der deutschen historischen Forschung zum Zweiten Weltkrieg korrespondiert oft nicht mit dem Allgemeinwissen und der nichtöffentlichen Erinnerungslandschaft.

Für den deutsch-polnischen historischen Dialog kommt noch erschwerend hinzu, dass in der DDR vor allem der deutsch-sowjetische Konflikt, also der Überfall des Dritten Reiches auf die Sowjetunion im Juni 1941, exponiert wurde. Diese Konzentration auf 1941 half den SED-Machthabern, dem unbequemen Thema der Komplizenschaft Hitlers und Stalins bei der Zerstörung Polens 1939 aus dem Weg zu gehen. Das DHM muss diese für die Entwicklung des deutsch-polnischen Geschichtsdialogs erschwerenden Tendenzen deutlich vor Augen gehabt haben. So stellt das Team um Asmuss den Überfall auf Polen nicht als eine konventionelle militärische Auseinandersetzung dar, sondern als einen mörderischen Krieg gegen die Zivilbevölkerung vom ersten Kriegstag an - als einen rassistischen Kulturkrieg gegen die polnische Nation.

Die NS-Mordmaschine ging von Anfang an nicht nur gegen polnische Juden vor, sondern auch gegen Exponenten der nichtjüdischen polnischen Elite. Dabei wurde nicht nur gemordet. Die Vertreter der deutschen Kulturnation zerstörten ebenso rücksichtslos das polnische Kulturerbe. Die flächendeckenden Bombardements auf Städte waren keine Erfindung der West-Alliierten, sie wurden schon im Polenfeldzug 1939 praktiziert. Doch dies ist nicht das Ende unbequemer, verdrängter Wahrheiten, die im DHM präsentiert werden. Es wird gezeigt, wie von Anfang an Wehrmachtsoffiziere und Polizisten aktiv am Vernichtungskrieg mitbeteiligt waren und mit dem Vorgehen der SS sympathisierten. Die Ausstellung fragt, ob einzelne Soldaten die vorhandenen Freiräume genutzt haben, um sich zum Beispiel durch Versetzungen den Erschießungen der Zivilbevölkerung zu entziehen.

Das Team um Burkhard Asmuss konzentriert sich dabei nicht nur auf die uniformierten Eliten, es zeigt auch, auf welch breiter gesellschaftlicher und intellektueller Basis die rassistische NS-Politik der Neuordnung Europas stand. So stellt die Ausstellung eine Denkschrift des Ostforschers Theodor Schieder vom 7.10.1939 zur Germanisierung Osteuropas vor, in Folge derer Millionen Polen, Russen und Angehörige anderer Völker vertrieben werden sollten. Die Ausstellung verschweigt auch nicht, dass die verbrecherische Tätigkeit der Wissenschaftler nach 1945 oft ungestraft blieb, viele konnten sogar ihren politischen Einfluss mehren. So wurde Schieder zum einflussreichen Ostforscher, bildete Wissenschaftler sowie Diplomaten aus und leitete in den 1950er Jahren das große Dokumentationsprojekt über die Vertreibung der Deutschen.

Der Ausstellungsbereich über den Zweiten Weltkrieg konzentriert sich nicht nur auf die deutsche Rolle. Erinnert wird auch an den systematischen Widerstand des polnischen Untergrundstaates, an die polnische Exilarmee, die auf der Seite der Alliierten gekämpft hat - ein nicht unerheblicher Hinweis für das deutsche Publikum, denn wer weiß schon, dass mehr Polen als Franzosen am Feldzug der Alliierten gegen das Dritte Reich teilgenommen haben. Für viele Deutsche ungewohnte Perspektiven präsentiert auch der erste Teil der Ausstellung über die deutsch-polnischen Beziehungen zwischen dem Untergang der polnischen Adelsrepublik (1795) und 1939. Deutsche Erinnerungsorte, deutsche Mythen werden in einen deutsch-polnischen Kontext gestellt, womit eine selbstkritische Reflexion über den Entstehungsprozess der modernen deutschen Nation angeboten wird.

Die Paulskirche von 1848 zeigen die Ausstellungsmacher nicht nur als eine Sternstunde des deutschen Parlamentarismus, sondern eine Wendemarke, an der sich Deutsche von den Emanzipationsbestrebungen der Polen abwenden. Bismarck ist im DHM nicht nur der geniale Architekt der Reichsgründung, sondern ein unerbittlicher Feind der polnischen Unabhängigkeit; die Weimarer Republik nicht nur eine fortschrittliche Demokratie, sondern auch ein Staat im permanenten kalten Krieg mit Polen. Das DHM zeigt aber auch positive deutsche Traditionen der Polenpolitik, die sich nicht durchsetzen konnten, vor allem die Polenbegeisterung um 1830-1831. Bekannte Wendepunkte, unbekannte Protagonisten Die kritische Hinterfragung deutscher Mythen setzen die Ausstellungsmacher auch im dritten, der Nachkriegszeit gewidmeten Bereich fort. So zeigen sie sich beispielsweise skeptisch gegenüber den Gesten der Vertriebenenfunktionäre, die in ihrer Charta von 1950 Versöhnung predigten, aber die moralische Verantwortung der Deutschen für den Krieg nicht thematisierten.

Das Team um Asmuss erinnert an bekannte Höhepunkte der bilateralen Beziehungen, wie die Ostpolitik-Debatten der Bundesrepublik oder den Brandt-Besuch 1970 in Warschau, und lenkt die Aufmerksamkeit der Besucher auch auf vergessene Protagonisten und Ereignisse der deutsch-polnischen Beziehungen, wie die Solidarität mit "Solidarność" in beiden deutschen Staaten, die Tätigkeit von Günter Särchen oder Berthold Beitz. Doch insgesamt bleibt dieser Ausstellungsbereich unter dem Niveau der anderen Teile. Es fehlt ein roter Faden, eine klare Fragestellung. Das Kapitel über die Nachkriegszeit hätte eigentlich der Frage nachgehen müssen, wie es Deutschen und Polen gelungen ist, den Krieg und seine Folgen zu überwinden, in friedlicher Nachbarschaft, gar politischer Partnerschaft, zu leben.

Der heutige Zustand der Beziehungen ist doch keine logische Folge des Zusammenbruchs des Dritten Reiches, sondern ein Ergebnis mutiger politischer und kultureller Entscheidungen, oft gegen Machthaber, politische Mehrheiten und den Zeitgeist. Hätte die Ausstellung die Frage nach den deutsch-polnischen Rezepten für die Überwindung des Antagonismus gestellt, dann hätte sie nicht nur diejenigen Tendenzen eindeutiger benannt, die die Annäherung nach 1945 erschwert haben (z. B. die kommunistische, antideutsche Propaganda in Polen), sondern auch die geistigen Quellen und Architekten der revolutionären Idee einer deutsch-polnischen Werte- und Interessengemeinschaft klarer definiert.

Viele dieser Quellen fehlen in der Ausstellung, so finden wir keine Spuren der Arbeit Deutsch-Polnischer Gesellschaften, auch keine der mutigen deutschen Publizisten und Schriftsteller wie Heinrich Böll, Peter Bender, Klaus von Bismarck oder Johannes Bobrowski und Wolfgang Templin - um auch zwei Ostdeutsche zu nennen. Die Revolution des polnischen politischen Denkens im Exil und im polnischen Untergrund, die neue Europa- und Deutschlandbilder schuf, verschweigt die Ausstellung ebenso. Ohne diesen Faktor lässt sich die deutsch-polnische Annäherung nicht erklären. Im Bereich nach 1945 konzentrieren sich die Ausstellungsmacher zu sehr auf die deutschen Faktoren und übersehen dabei die bilaterale Dynamik, die auch von polnischer Seite mit beeinflusst wurde. Orientierungs- und hilflos wirkt auch das Fragment über die beiden jüngsten Jahrzehnte. Wir treffen auf allgemein bekannte Motive - wie Kreisau, Bartoszewski vor dem Bundestag, die antideutschen "Wprost"-Kampagnen und neudeutschen Polen-Stereotypen - doch je mehr sich der Besucher dem Ausstellungsende nähert, um so deutlicher stellt er sich die Frage, ob mit diesen viel zitierten Beispielen ein reales Bild der jüngsten Konflikte und auch der heute verbindenden Basis vorgestellt wird. 


Fazit: eine beachtliche deutsch-polnische Ausstellung zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, mit bemerkenswerten Kapiteln über den Krieg und die Beziehungen vor 1939. Die Erzählung über die Nachkriegszeit bleibt unter dem von den Autoren vorgegebenen Niveau.

Basil Kerski