Lukasz Maciejewski: Liebe in den Zeiten der Seuche

Wojciech Smarzowski, der Autor von gerade einmal ein paar Spielfilmen, wird heute als würdiger Nachfolger der Großen des polnischen Kinos wie Wajda, Zanussi oder Krauze gesehen. Von einer Rolle in Smarzowskis Filmen träumen beinahe alle Schauspieler, seine nächsten Titel sind Favoriten auf den Filmfestivals und erfreuen sich großer Popularität bei den Zuschauern. Er hat sich lange auf sein Debüt vorbereitet, heute arbeitet er, ohne zu verschnaufen. Nach der ausgezeichnet aufgenommenen "Róża", hat er bereits den nächsten Film, das Krimipamphlet "Sieben Tage" gedreht und im Spätherbst dieses Jahres beginnen die Dreharbeiten zur Verfilmung eines der bekanntesten Romane des vergangenen Jahrzehnts -Jerzy Pilchs "Zum starken Engel". Smarzowski, der die Kamerafakultät der Lodzer Filmhochschule absolviert hatte, begann mit einer Zusammenarbeit mit Krzysztof Krauze bei dem Film "Straßenspiele". 
Nach dem Fernsehfilm "Die Ohrmuschel" debütierte er mit einer tragikomischen Version der "Hochzeit", die sowohl auf Stanisław Wyspiańskis Nationaldrama als auch auf den legendären Film Andrzej Wajdas Bezug nahm. Smarzowskis nächster Titel, der brutale "Das Haus des Bösen", wurde eine Bestätigung sowohl seines Talents als auch des charakteristischen Stils des Regisseurs. 

Dieser Stil beruht in aller Kürze auf dem Eindringen in das düsterste Innere des Lebens, dem der Regisseur eine geheimnisvolle Klarheit gegenüberstellt. Es ist kein Zufall, dass alle Filme Smarzowskis mit der gleichen Aufnahme enden. In der letzten Szene schwebt die Kamera langsam über dem Ort der brutalen Vorfälle. Wir blicken von oben auf die abfahrenden Festgäste in der "Hochzeit", auf die schneebedeckten Abgründe in "Das Haus des Bösen" und auf das erleuchtete Masuren in "Róża" herab. Nach einer Reihe bitterer Szenen, nach verzweifeltem, oft zum Scheitern verurteiltem Kampf mit den schlimmsten Instinkten, hellt sich im Finale der Himmel auf und es folgt die symbolische Erlösung von der Schuld. Das Licht schimmert durch. 

"Róża" ist jedoch in dieser Hinsicht ein trügerischer Titel. Einerseits handelt es sich um eine beinahe klassisch erzählte Liebesgeschichte, die "in den Zeiten der Seuche" spielt, andererseits haben wir es mit einem Film voller Paradoxien zu tun. Dieses bewegende Melodram ist im Grunde eine finstere Erzählung über die zunehmende Spirale des Bösen, das sich das flüchtige Gute aneignet. Der unruhige Schnitt erzeugt den Eindruck, als ob die einzelnen Szenen und Situationen in der Mitte abgebrochen wurden. Als ob der Regisseur sich über den Ausmaß der Gewalt auf der Leinwand erschreckt, den Druck nicht mehr ausgehalten habe und den Zuschauern den Schmerz ersparen wollte. Der Blick ist aber auch so schmerzlich. In metaphysischer Perspektive schauen wir auf das alttestamentarische Gespenst der Strafe für die Sünden der Väter und Großväter, auf die Leiden für Schuld, die nicht von einem selbst stammt. 

"Róża" ist ein Film, dessen verwickelte historische Kontexte vielleicht nur Polen zu verstehen in der Lage sind. Wichtiger ist allerdings die universelle Perspektive. Außer der historischen Verkleidung, dem düsteren Bericht über den Nachkriegsexodus der polnischen Masuren, zählt das individuelle Schicksal, die Geschichte der Titelheldin Róża Kwiatkowska. Das filmische Spiel dreht sich somit um den ewigen, unveränderlichen Kampf der Instinkte. Gut gegen Böse, Grausamkeit in der Maske gutmütigen Lächelns. In "Róża" betrifft jener Kampf den Menschen und seine Einstellungen, nicht die historischen Wirrungen. 

In der vom Regisseur gezeigten filmischen Realität geschieht nichts ganz bestimmt. Es fehlt an deutlichen, klaren Aufteilungen. Es gibt nicht die bösen Deutschen und die guten Polen, und der frühere Kämpfer der Volksgarde, der Freund des Haupthelden, wird zu einem sadistischen Staatssicherheitsmann. Die einst Erniedrigten tragen den Kopf jetzt hoch und beginnen selbst zu demütigen, sie foltern und fällen vehement Urteile. Es geht vor allem um die Macht über den fremden Körper, den man verderben, beschmutzen und schließlich umbringen kann. Der vergewaltigte Frauenkörper wird zur Metapher der "vergewaltigten" Geschichte. Das ist das auch aus der Gender-Perspektive interessanteste Motiv des Films. Anders als in den meisten Kriegsstreifen, erscheint Gewalt in "Róża" nicht in einer Fetischisierung von militärischem Zubehör, sie hat den Charakter der körperlichen Schändung, des besudelten Körpers. Der Körper, die weibliche Intimität wird zur Arena der brutalsten Kämpfe, zur Front der Unterdrückung. 

Der Krieg wird in Smarzowskis Film somit zu einem vielfach beschmutzten, der Würde beraubten, malträtierten Körper. Aber es ist auch ein siegreicher, unbezwungener Körper. Die verachtete, vergewaltigte Masurin Róża Kwiatkowska in der meisterlichen Darbietung Agata Kuleszas geht aus diesem Kampf unschuldig und rein hervor. Sie triumphiert, und nicht ihre sadistischen Schergen. "Róża" ist nach der vergessenen "Abreise" in der Regie von Magdalena und Piotr Łazarkiewicz erst der zweite Film, der sich mit dem Thema der Nachkriegsschicksale der Autochthonen beschäftigt, die auf der Masurischen Seenplatte lebten. 

Das Problem der polnischen Masuren erfordert immer wieder eine ehrliche historische Revision. Die Masuren besiedelten die heutige Region der Woiwodschaft Ermland-Masuren im Nordosten Polens. Es handelte sich vor allem um Siedler aus Masowien und Deutschland, aber auch um Nachkommen französischer Hugenotten sowie wegen ihres Glaubens verfolgter Protestanten, die sich mit der lokalen Gemeinschaft assimiliert hatten. Die meisten Masuren betrachteten sich weder als Polen noch als Deutsche. Sie behaupteten, sie seien polnischsprachige Preußen, die masurischen Dialekt sprechen, der von Sprachwissenschaftlern als ein "masowischer Dialekt" der polnischen Sprache bezeichnet wird. Offizielle Sprache, die in den Schulen und in der Kirche galt, war das Polnische. 

In der Volksabstimmung von 1920 sprachen sich die Masuren, die Polen, das gerade frisch seine Unabhängigkeit wiedergewonnen hatte, nicht trauten, für Deutschland aus. Bis zu 97 Prozent der Einwohner Ermlands, Masurens und der Powiśle-Region entschieden sich damals für den Anschluss an Deutschland. In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erhielten die Masuren die vollen Rechte von Bürgern des Dritten Reiches. Die engagiertesten propolnischen Aktivisten kamen ins Gefängnis oder waren Schikanen ausgesetzt. Die NSDAP ließ die polnischen Schulen schließen. Im Jahre 1938 verkündeten jedoch die Masuren auf dem Kongress der Polen in Berlin: "Wir sind Polen!". Der Zweite Weltkrieg bedeutete den Tod vieler polnischer Aktivisten, auf dem Gebiet Masurens entstanden Kasernen und Bunker. 1941 wurde in der Nähe von Rastenburg die Wolfsschanze errichtet, Hitlers Hauptquartier. 1944 setzte die Flucht von Zivilisten ein, nachdem die Russen nach Ermland eingedrungen waren. Von über zwei Millionen Einwohnern Ostpreußens blieben 1945 nur 400.000. Während der Aussiedlungen kamen Menschen um, erfroren oder ertranken in den Seen. 

Die Konferenzen in Teheran und Potsdam trafen die Vorentscheidung, dass der südliche Teil Ostpreußens an Polen angeschlossen werden sollte, der nördliche dagegen an die Sowjetunion. Die Masuren, die sich nicht zu einer Ausreise nach Deutschland entschlossen hatten, wurden wie Verräter behandelt. Diebstähle und Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung, die Gewalt boomte. Auch die offiziellen Behörden betrachteten die Masuren als Klassenfeinde und sogar diejenigen, die vor dem Krieg um den polnischen Charakter Ermlands und Masurens gekämpft hatten, wurden zur Emigration gezwungen. Infolge der verschärften Politik der Regierung verließ bis 1956 die Mehrzahl der Autochthonen Polen. Ihre Gehöfte nahmen die hauptsächlich aus der Wilnaer Gegend, Podolien und Wolhynien zugereiste Bevölkerung, aber auch Lemken und Ukrainer, in Besitz. Smarzowski erwähnt diese erschütternde Geschichte nicht direkt, wir sehen auf der Leinwand keine helfenden Untertitel, die die komplizierte Realität erklären. Der Regisseur glaubt an die Intelligenz des Zuschauers. Sogar ohne die konkreten Fakten zu kennen, erfassen wir das essentielle Gute in gleicher Weise wie das genauso intensive Böse. Die Grausamkeit wird keiner Nation zugeschrieben. Sie betrifft sowohl die sadistischen Sowjets als auch die korrupten Polen und die verlogenen Masuren. Das Böse ist dauerhafter Bestandteil der dargestellten Welt, es gibt keine Möglichkeit, sich vom Fatum zu befreien. Umso kräftiger zeichnen sich vor dem Hintergrund der brutalen Instinkte die hellen Profile zweier Haupthelden ab: der Masurin Róża Kwiatkowska sowie des edlen Kämpfers der Heimatarmee und Aufständischen Tadeusz (gespielt von dem auf dem Festival Polnischer Spielfilme in Gdingen ausgezeichneten Marcin Dorociński). 

Er war in die sogenannten Wiedergewonnenen Gebiete gekommen, um ein neues Leben zu beginnen. Er hat genug vom Krieg, hat schon zu viel mitangesehen und träumt von Ruhe. Sein Pech und Glück zugleich besteht darin, dass er sich in eine Masurin verliebt, ein viele Male von Sowjets vergewaltigtes "Flittchen". Die Schicksale von Róża und Tadeusz verlaufen parallel. Sie hat im Krieg ihren Mann, einen Wehrmachtsoldaten, verloren, er war Zeuge des Todes seiner Frau, die von Nazis vergewaltigt und dann ermordet wurde. Um Różas Haus kreisen die Neusiedler, für Tadeusz beginnt sich sofort die Staatssicherheit zu interessieren. Die unmögliche, unruhige Liebe dieses Paares, die zu allen möglichen Widrigkeiten verurteilt ist, ist der Sieg des Glaubens an den Menschen über die tierischen Triebe. Es ist ein gegen alles gerichtetes Gefühl: gegen die Menschen, die Zeiten und gesellschaftlichen Unterteilungen. Wojciech Smarzowski sagt: Es gibt keine solche Schwärze, die man nicht durch Helligkeit brechen kann; es gibt kein Böses, das sich nicht mit dem Guten treffen könnte. Die uralte Bilanz der Gewinne und Verluste setzt in existenzieller Bewertung nicht den Begriff des Vakuums außer Kraft. Solange es Bestialität gibt, muss auch Platz für Edelmut sein. Immer, überall, sogar in den allerschlimmsten Zeiten. 

Róża und Tadeusz sind unberührte Helden. Behaftet mit dem Schmutz um sie herum glänzen sie durch ihre innere Kraft. Vor ihrem Hintergrund fallen sogar die herzensguten, sympathischen Repatrianten aus dem Osten, die sich in der Nachbarschaft von Różas Gehöft niederlassen, blass, vielleicht aber einfach menschlich, aus. Smarzowski ist doch ein viel zu aufmerksamer Regisseur, um sich nicht um ein Ausgleichen der Proportionen zu bemühen. Die positiven Figuren - seien es der deutsche Pastor oder der russische Arzt - erfüllen im Film einen wichtigen, ebenmäßigen Bezugspunkt für die Krankheit des Hasses. 

Thomas Bernhard schrieb in seinem Roman "Verstörung" über die "Geräusche", die man nicht loswerden könne. Sie bohren sich in den Kopf hinein, ergreifen die Gedanken und werden zu Giftmördern. Die Geräusche haben mich noch lange nach der Vorführung von "Róża" begleitet. "Ich bin gestorben, aber ich konnte nicht einschlafen", rief Agnes in Ingmar Bergmans "Schreie und Flüstern". Als diese Worte gefallen sind, lag der tote Körper von Agnes auf dem Bett, inmitten von welken Blumen und dem betörenden Duft von Kerzen. Auf dem Gesicht der schlaflosen Toten ließen sich erste Anzeichen der Verwesung feststellen. "Ich bin gestorben", könnte uns auch Róża Kwiatkowski sagen, "aber ich habe gewonnen". 

Aus dem Polnischen von Markus Krzoska 

Łukasz Maciejewski Journalist, Filmkritiker, Lehrbeauftragter der Jagiellonischen Universität und der Krakauer Drehbuchschule, lebt in Tarnów und Krakau.