Perspektiven erweitern, Orientierung geben 30 Jahre Deutsch-Polnisches Magazin DIALOG

Liebe Leserinnen und Leser,

vor genau drei Jahrzehnten erschien in Hamburg die erste Nummer des Magazins. 30 Jahre – das ist für eine Zeitschrift ein stolzes Jubiläum. Heutzutage befinden sich Menschen mit 30 Jahren in der Regel am Beginn ihres Berufs- und Familienlebens, suchen noch nach ihrem Platz in der Gesellschaft. Es ist häufig die zweite Etappe eines oftmals langen Lebens. Heute, im schnellen digitalen Zeitalter sind drei Jahrzehnte hingegen für ein Printmedium eine Ewigkeit, eine Verbindung unterschiedlicher Epochen.

DIALOG ist in den dreißig Jahren zu einer langen Kette gewachsen, die verschiedene Kapitel deutsch-polnischer Geschichte verbindet. 119 Hefte sind derweil erschienen. Sie bilden eine reiche Chronik deutsch-polnischer Beziehungen, ein Spiegelbild der Dynamik der Nachbarschaft, vornehmlich auf ihren gesellschaftlichen und kulturellen Ebenen. Doch Zeitzeugenschaft alleine reicht als Legitimation heutiger Bedeutung nicht aus. DIALOG ist vielmehr als eine wertvolle historische Quelle, unsere Ambition ist es weiterhin, in den nächsten Jahren zur Meinungsbildung und zur Perspektiverweiterung deutsch-polnischer Akteure beizutragen. In der heutigen Welt der schnellen Informations- und Bilderflut, in der einfache Thesen und zuspitzende Polemik in den Medien dominieren, wollen wir ein ruhender Pol sein, ein Ort des Nachdenkens. Wir wollen neue Perspektiven eröffnen und Orientierung liefern, in kritischer Distanz zu den kommerziellen Medien.

Wenn ich im heutigen digitalen Zeitalter über den Platz solcher Printmedien wie DIALOG in der Medienlandschaft nachdenke, dann komme ich immer wieder auf Hermann Hesses Reflexionen über die Rolle von Buchverlagen zurück. 1959 richtete Hesse in einem Brief an Siegfried Unseld, der gerade dabei war die Leitung des Suhrkamp Verlags anzutreten, die folgenden Worte: „Der Verleger muss mit der Zeit gehen, wie man sagt, er muss aber nicht einfach die Moden der Zeit übernehmen, sondern auch, wo sie unwürdig sind, ihnen Widerstand leisten können. Im Anpassen und im kritischen Widerstand vollzieht sich die Funktion, ein Ein- und Ausatmen des guten Verlegers.“

Hesses Aussage hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt, sie ist heute noch eine Orientierung für Buchverleger. Und momentan haben seine Gedanken eine neue Bedeutung insbesondere für Presseredakteure erlangt. Fachzeitschriften wie DIALOG müssen ihren Lesern das Gefühl vermitteln, nahe an den wichtigsten Entwicklungen zu sein und zugleich die Distanz zu den Ereignissen, Themen und Bildern suchen, die die Massenmedien dominieren. Wir bieten unseren Lesern alternative Sichtweisen auf die politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Hauptströmungen der Gegenwart an. Das Anpassen und der kritische Widerstand sind aktuell das Ein- und Ausatmen eines guten Redakteurs, um Hesses Worte zeitgemäß zu deuten.

Unser Magazin konnte bereits drei Jahrzehnte wirken, was sicherlich damit zusammen hängt, dass es der Redaktion gelang, neben klassischen bilateralen Motiven neue Themen für den deutsch-polnischen Diskurs zu erschließen. Wir haben uns nicht nur mit politischen Jahrestagen, Erinnerungskulturen oder mit der Zusammenarbeit im Grenzgebiet auseinandergesetzt, sondern versucht, die Leser mit solchen Themen wie „Woran glauben wir?“ und „Gesellschaften in Zeiten des Narzissmus“ zu überraschen oder mit Texten über polnische und deutsche Küche sowie Mode sinnlich zu inspirieren.

Intuitionen und Ideen der Redakteure müssen aber nicht immer den Geschmack der Leser treffen. Dass wir als Redaktion einen so langen Weg gehen konnten, verdanken wir vor allem Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Für Ihre Unterstützung, Treue und Neugier möchte ich Ihnen im Namen der ganzen Redaktion sehr herzlich danken.

Viele von Ihnen sind in den Deutsch-Polnischen Gesellschaften (DPGs) und in ihren polnischen Partnerorganisationen aktiv. Sie bilden ein großes und politisch einflussreiches Netzwerk, das hauptsächlich dank der Unterstützung kommunaler Partnerschaften das Gefühl der kulturellen Nähe und geistigen Verbundenheit zwischen Deutschen und Polen vermittelt. Auf Initiative einzelner DPGs entstand bereits 1986 der erste Dachverband, der auf Bundesebene als Lobbyorganisation die Interessen der Vereine gegenüber der westdeutschen Öffentlichkeit, der Bundesregierung und dem polnischen Staat vertreten wollte. Das erste Projekt, quasi ein Leuchtturm, war die Gründung des Magazins DIALOG im Juni 1987 in Hamburg, das die Arbeit der Gesellschaften dokumentieren und damit öffentlichkeitswirksam vermitteln sollte. Zum anderen sollte es die einzelnen Vereine enger aneinanderbinden, eine bundesweite Identität schaffen.

In den Jahren 1986 und 1987 hatte sich die absolute Mehrheit der Bundesbürger im geteilten Europa gut eingerichtet und die europäische Integration vorwiegend als Zusammenarbeit mit den westlichen Nachbarn verstand. Die DPGs ahnten aber im Gegensatz zu den meisten Westendeutschen, dass ein Epochenwechsel bevorstand, der durch Polen und die Gewerkschaftsbewegung Solidarność ausgelöst und durch die Erosion der Sowjetunion verstärkt wurde. Mit Kontakten zur polnischen Gesellschaft, vor allem über humanitäre Hilfsmaßnahmen, bauten die DPGs noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs neue Brücken zwischen Ost- und West. Und als schließlich infolge des polnischen Runden Tisches 1989 die großen Revolutionen Ost- und Mitteleuropas den Kommunismus wegfegten, waren die Akteure der deutsch-polnischen Vereine vor Ort aktiv und unterstützen den Demokratisierungsprozess in Polen. Indessen begannen die DPGs, als erste in der deutschen Gesellschaft für den Beitritt Polens in die NATO- und EU zu werben.

Die Deutsch-Polnischen Gesellschaften sind bis heute ein Phänomen, das viele Europäer, darunter Polen, schwer einordnen können. Mir ist das erneut im vergangenen Jahr auf der letzten Jahrestagung der DPGs in Danzig bewusst geworden, als mich eine Journalistin des staatlichen Danziger Radios zum Kongress befragte. Nach wenigen Minuten des Gesprächs merkte ich, welche Vorstellung sie hatte: Im Saal seien hunderte deutscher Vertriebener anwesend, die vom deutschen Staat unterstützt, nach Danzig zu einem quasi großen Familienfest gekommen sind. Und die Debatten über den Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen seien nur ein Ritual, das die öffentlichen deutschen Förderer von ihnen erwarten. Vollkommen überrascht war sie, als ich ihr das Phänomen der DPGs und ihrer Jahrestagungen erklärte. „Nein“, meinte ich, „dies sind keine Vertriebenen und nicht ihre Nachkommen, auch wenn einige von Ihnen familiäre Wurzeln im östlichen Mitteleuropa haben. Nein, sie sind keine Heimwehtouristen, dazu sind die meisten von ihnen viel zu jung. Und übrigens hatten diese Menschen ihre Reisekosten und Übernachtungen selbst bezahlt. Hier sehen sie die europäische Zivilgesellschaft, in einer ihrer Ausprägungen“, sagte ich weiter. „Deutsche und in Deutschland lebende, gut integrierte Polen wollen neue Brücken zwischen den Gesellschaften bauen und bestehende pflegen, um damit Verständigung zwischen den Nachbarn zu fördern.“ Ich versuchte, die politischen Ansichten der nach Danzig Gereisten zu charakterisieren: „Für diese Menschen sind die deutsch-polnischen Beziehungen ein Grundelement Europas. Die Nationalstaaten sind für diese Menschen wichtig, aber sie alleine sind nicht in der Lage, den Frieden zu sichern und uns vor den negativen Folgen der Globalisierung zu schützen, so die Überzeugung der meisten hier anwesenden Menschen. Sie engagieren sich, weil sie Europa nicht den Profis alleine überlassen, sie wollen mitreden, mitbestimmen, auch zwischen den Wahlen.“ Die Journalistin von Radio Gdańsk war überrascht von dieser Erläuterung und schaute nun mit größerer Neugier (und, meinem Eindruck nach, mit Respekt) in den Raum mit so vielen Kongressteilnehmern.

Ich muss gestehen, mich hat die Unkenntnis der Danziger Kollegin nicht überrascht. Zwar ist Polen reich an zivilgesellschaftlichen Akteuren, doch sind diese größtenteils im humanitären und medizinischen Bereich engagiert, wo sie Defizite des Sozialstaates auffangen. Kulturelle Initiativen, die sich europäischen oder internationalen Themen widmen, haben kaum eine Breitenwirkung und stehen oft im Verdacht, Vorfeldorganisationen von Parteien zu sein. Zivilgesellschaftliches Engagement in Parteien oder politischen Vereinen ist unpopulär und hat den Geruch realsozialistischer Massenorganisationen. Die Unkenntnis meiner Danziger Kollegin hat außerdem mit einem anderen Phänomen zu tun: Wenn es um die deutsch-polnischen Beziehungen geht, so standen im Mittelpunkt der polnischen öffentlichen Debatte in den letzten Jahren entweder deutsche Vertriebenenorganisationen oder Polonia-Vereine im Mittelpunkt. Die Vertriebenen, überwiegend kleine Splitterinitiativen wie die Preußische Treuhand, dienten manchen Massenmedien und nationalistischen Politikern dazu, das Schreckgespenst eines neuen deutschen Nationalismus an die Wand zu malen. Dank solcher Feinbilder können sich nationalistische Populisten als Verteidiger polnischer Souveränität präsentieren. Und die große Aufmerksamkeit gegenüber polnischen Vereinen in Deutschland, dient oftmals weniger der Sorge um die Pflege polnischer Sprach- und Kulturkompetenz in Bundesrepublik, vielmehr wird sie oft dazu gebraucht, der Bundesregierung vorzuwerfen, sie würde sich zu wenig für die Förderung der Polonia einsetzten und so den Nachbarschaftsvertrag nicht umsetzen. Manchmal bedienen sich Politiker, Analytiker oder Journalisten des Polonia-Themas, um zu beweisen, wie die Kohl-Regierung die polnischen Partner 1991 bei den Verhandlungen um den Nachbarschaftsvertrag über den Tisch gezogen hätte. Denn im Vertrag, so der Vorwurf, seien die Rechte der deutschen Minderheit, aber nicht der polnischen Minderheit gesichert worden. Verschwiegen wird dabei natürlich der Inhalt des Vertrages, in dem zwar nicht die Rede von der polnischen Minderheit sei, der aber politisch die deutsche Minderheit in Polen mit der Gruppe der polnischsprachigen Bürger in der Bundesrepublik gleichstellt und somit die Bedeutung beider Gruppen anerkennt.

In dem medial und politisch so attraktiven Bild einer deutsch-polnischen Nachbarschaft, die ein Kampf von zwei ethnisch homogenen Nationalstaaten ist, deren Minderheiten quasi ein Instrument der nationalen Außenpolitik sind, passen die DPGs nicht hinein. Deutsche Vereine, in denen Polen und Deutsche aktiv sind, denen jedwede nationalistische Rhetorik fremd ist, und die mit mehreren konkreten Projekten auf der gesellschaftlichen Basis tätig sind, sind Medien und diversen Politikern einfach zu unspektakulär.

Mit ihrer Zuversicht gegenüber europäischer Zusammenarbeit stehen sie den politischen Akteuren im Weg, die „unsere Angst verwalten“, wie sie kürzlich Andrzej Stasiuk charakterisiert hat. Diese Repräsentanten können nichts anderes, als die Ängste anzusprechen, denn sie selbst seien, so Stasiuk, voller Angst, „weshalb sie unsere Befürchtungen zielsicher erkennen, antizipieren und erzeugen. Angst und Macht sind wie siamesische Zwillinge. Je mehr Angst wir haben, desto größere Feiglinge wählen wir. Sie opfern alles, um ihre Macht nicht zu verlieren. Sie opfern uns, unser Land unseren Kontinent.“ Diese Verwalter der Angst versprechen eine Rückkehr zum mythischen „Einst“ als Schutz vor den Herausforderungen der Zukunft, analysiert treffend Stasiuk: „Wir vermissen sie [die Vergangenheit] und glauben, man kann sie zurückholen. Wir glauben, die Rückkehr der Vergangenheit kann uns jene Kräfte wiedergeben, die wir angeblich verloren haben. Wir meinen, das Vergangene birgt Lösungen für das kommende“, so Stasiuk weiter in seiner inspirierenden Dankesrede zum Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur von 2016.

Die Verwalter der Angst sind momentan auf dem gesamten Kontinent aktiv. In Polen sind sie an der Macht und streuen Misstrauen sowohl gegenüber Deutschland, der Europäischen Union, als auch gegenüber den östlichen Nachbarn. Die Angst ist zudem ein gutes Mittel, um gegen die liberale politische Kultur, gegen den Westen, gegen die Europäische Union (das neue, von Deutschland dominierte Imperium) vorzugehen. Vielen polnischen Politikern und Diplomaten gelten Deutsch-Polnische Gesellschaften – übrigens ähnlich wie vor dreißig Jahren zu Zeiten der Volksrepublik Polen – gar als ein Störenfried, weil sie offen die Einschränkung der Gewaltenteilung sowie die nationalistische, zum Teil fremdenfeindliche Rhetorik der PiS-Regierung und ihres Präsidenten offen kritisieren. Sie, die DPGs, würden die Logik des von der PiS eingeleiteten „guten Wechsels“ nicht verstehen, so argumentierte kürzlich ein hoher polnischer Diplomat gegenüber einer Deutsch-Polnischen Gesellschaft in den östlichen Bundesländern. Fehlendes Gespür in Bezug auf der Entwicklung in Polen ist ein Schlüsselargument gegen die DPGs. Ein anderes ist, dass sie die falschen Berater, die falschen Partner in Polen hätten und dass sie die falschen polnischen Helden verehren würden: Bartoszewski, Geremek, Mazowiecki oder Wałęsa. Alles Architekten der Dritten Republik, also eines postkommunistischen Staates, der niemals mit der roten Diktatur und ihren Eliten konsequent gebrochen, und dadurch einen nicht vollkommen demokratischen und nicht ganz souveränen Staat geschaffen hätte. Erst die kritische Auseinandersetzung mit diesen polnischen Antihelden führe zu Gründung einer wahren polnischen Demokratie.

Unter den Namen derjenigen Partner, die die deutsche Gesellschaft mit ihren Kommentaren angeblich falsch über die politischen Entwicklungen in Polen informieren würden, fallen stets Namen so renommierter Kenner wie Włodzimierz Borodziej, Adam Krzemiński, Marek Prawda und Janusz Reiter, übrigens alles DIALOG-Autoren.

Adam Krzemiński hatte in den letzten drei Jahrzehnten eine herausragende Rolle im DIALOG eingenommen. Gemeinsam mit Günter Filter entwickelte er das Konzept eines deutsch-polnischen Periodikums und leitete es mit dem Hamburger Kollegen bis 1998. Damals zog die Redaktion nach Berlin, um näher an der deutsch-polnischen Grenze und der bundesdeutschen Politik zu sein. Seit 1999 habe ich die große Ehre, für das Magazin verantwortlich zu sein. Adam Krzemiński blieb ihm verbunden, er ist weiterhin einer unserer wichtigsten Autoren. Ich bewundere seine Brillanz, seine Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge in einfachen Sätzen zu vermitteln und seine nicht nachlassende Neugier. Adam schreibt viel, liest viel, ist bestens über die wichtigsten intellektuellen und politischen Debatten auf dem Kontinent informiert und er reist ständig, um sich Entwicklungen aus der Nähe anzuschauen. Adam ist ein unabhängiger europäischer Intellektueller, von denen es zurzeit, paradoxerweise in diesem Erasmus-Europa voller mehrsprachiger, europaweit ausgebildeter Menschen, leider nur wenige gibt.

Gemeinsam mit Günter Filter hatte Adam die Fundamente des DIALOG gelegt. Zwei brillante Grafiker konnten in den ersten Jahren als Mitarbeiter gewonnen werden: Zygmunt Januszewski und Wiesław Smętek. Beide gaben dem DIALOG eine besondere grafische Identität. Leider ist Zygmunt 2013 viel zu früh verstorben. Seine Arbeiten sind nach wie vor präsent, da seine Familie uns aus dem umfangreichen Archiv immerfort unbekannte Arbeiten zur Verfügung stellt.

1995 wurde der DIALOG zweisprachig. Die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit (SdpZ) wurde von Günter und Adam als strategischer Partner gewonnen. Um die Jahrtausendwende konnte der damalige Vorsitzende des Bundesverbandes, Markus Meckel, das Auswärtige Amt als zweiten wichtigen Förderer mit ins Boot holen. Dank der SdpZ und dem Auswärtigen Amt konnte die Arbeit der Redaktion professionalisiert und erweitert werden. Sie wurde zu einem Kompetenzteam innerhalb der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband, das bis heute neben dem DIALOG ebenso Bücher und das Geschichtsjahrbuch Inter Finitimos veröffentlicht sowie Debatten und Fachtagungen organisiert. Für die jahrelange vertrauensvolle Zusammenarbeit möchte ich der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und dem Auswärtigen Amt sehr herzlich danken.

Darüber hinaus schlossen Günter Filter und Adam Krzemiński Mitte der 1990er Jahre eine Partnerschaft mit der Danziger Zeitschrift „Przegląd Polityczny“. In Deutschland kaum beachtet, zog diese Partnerschaft allerdings in Polen die Aufmerksamkeit rechter Medien auf sich. Denn „Przegląd Polityczny”, eine renommierte Quartalschrift, die der Kultur und politischen Philosophie gewidmet ist, wurde 1983 im Untergrund von zwei jungen Danziger Liberalen gegründet, von Wojciech Duda und Donald Tusk. Der Historiker Duda leitet bis jetzt die hoch angesehene Zeitschrift, die an keine politische Partei gebunden ist und Autoren aus verschiedenen intellektuellen und politischen Milieus versammelt. Die Freundschaft und Zusammenarbeit Dudas mit Tusk auf der einen Seite und die Partnerschaft zwischen „Przegląd Polityczny“ und dem DIALOG weckte in den letzten Jahren und weckt fortwährend die Fantasie antiliberaler Publizisten. Dem heutigen EU-Ratspräsidenten wird regelmäßig von nationalistischen Medien eine zu enge politische Nähe zu Deutschland vorgeworfen. Manche Publizisten und Medien überschreiten oft Grenzen des Anstands und Geschmacks. So veröffentlichte im März dieses Jahres, nach Tusks Wiederwahl zum EU-Ratspräsidenten, die Wochenzeitung „Gazeta Polska“ ein Titelbild mit einem manipulierten Foto aus der NS-Besatzungszeit mit dem Titel „Europa zweier Geschwindigkeiten“. Zu sehen ist Donald Tusk in Wehrmachtsuniform, der aus einer Straßenbahn, die „nur für deutsche Fahrgäste“ bestimmt ist, aussteigt, ihm folgt Bundeskanzlerin Merkel. Selbst seine Gegner distanzierten sich von diesem geschmacklosen Titelbild.

Die Fantasie von Tusk-Gegnern regt nicht nur die politische Freundschaft zur Bundeskanzlerin an, sondern auch die Zusammenarbeit von DIALOG und „Przegląd Polityczny“. Diese enge Zusammenarbeit, in erster Linie die Förderung des Magazins durch das Auswärtige Amt und die SdpZ stärke die Danziger Liberalen und Tusk, so das Vorurteil. Mit deutschen Geldern werde eine antipolnische, prodeutsche Politik Polen gefördert. Natürlich wird außer Acht gelassen, dass ebenfalls das polnische Außenministerium, einzelne polnische Regionen, Städte und Firmen in den letzten drei Jahrzehnten DIALOG finanziell unterstützt haben.

Zwar loben Polens Präsident Andrzej Duda und etliche Vertreter der PiS-Regierung die deutsch-polnische Zusammenarbeit, verweisen gern auf Erfolge, vor allem ökonomische, aber letztendlich stehen sie einer strategischen Partnerschaft mit Deutschland skeptisch gegenüber. Sie träumen von einem alternativen Bündnis der mitteleuropäischen Staaten zwischen Ostsee, Adria und Schwarzem Meer, um so der Dominanz Deutschlands in Europa entgegenzuwirken.

Als ich vor fast zwei Jahrzehnten die Verantwortung für den DIALOG übernahm, stellte mir Adam Krzemiński die Frage nach meinen journalistischen Vorbildern. Er verwies seinerseits auf den großen Einfluss der legendären Zeitschrift „Polityka“ auf seine Entwicklung – einer liberalen Wochenzeitung, mit der Adam bis heute verbunden ist und aus der zahlreiche bedeutende polnische Journalisten hervorgegangen sind, unter ihnen Hanna Krall oder Ryszard Kapuściński. Ich war damals von seiner Frage so überrascht, dass ich ihm nicht gleich geantwortet hatte. Erst Jahre später versuchte ich ihm zu vermitteln, wie sehr mich Jerzy Giedroyc, der im Jahr 2000 verstorbene Chefredakteur der polnischen Exil-Zeitschrift „Kultura“, geprägt hat. Ich hatte in den 1990er Jahren noch das Privileg erfahren, Giedroyc persönlich kennenzulernen. Mehrfach habe ich ihn in seinem Verlagshaus in Maisons-Laffitte bei Paris besucht. Giedroyc gilt heutzutage nicht nur als kluger Verleger so großer polnischer Autoren wie Witold Gombrowicz oder Czesław Miłosz, sondern auch als wegweisender politischer Denker, der sich ausdrücklich für die Versöhnung mit den östlichen Nachbarn Polens eingesetzt hat. Als einem 1906 in Minsk geborenen und an den Kulturen der östlichen Nachbarnationen interessierten Intellektuellen lag ihm ein gutes Verhältnis der Polen zu Ukrainern, Belarussen und Russen sehr am Herzen. Was aber derzeit oft unterschätzt wird, ist sein Engagement für die europäische Integration und seine Bemühungen um ein strategisches Bündnis mit dem demokratischen Deutschland. Er glaubte schon kurz nach dem Krieg an eine demokratische Wiedergeburt Deutschlands auf der Basis einer kritischen Auseinandersetzung mit den dunklen Kapiteln der deutschen Geschichte. Als polnischer Patriot und Demokrat erkannte er die Notwendigkeit einer polnischen Kultur der kritischen Reflexion über die eigene Geschichte, vorrangig gegenüber nationalen und religiösen Minderheiten. Er forderte von seinen polnischen Landsleuten den Perspektivwechsel, die Bemühungen, europäische und polnische Geschichte auch aus dem Blickwinkel der Geschichte der Nachbarn zu betrachten. Ich bin sicher, würde Jerzy Giedroyc heute noch leben, wäre er einer der schärfsten Kritiker der Politik des „guten Wechsels“ der PiS.

Seine Monatsschrift „Kultura“ verstand Giedroyc nicht als einen geschlossenen Klub von Dogmatikern, es war eine offene, von Parteien unabhängige „Experimentierwerksatt“ politischen Denkens, in der studiert und analysiert wird, in der Schlüsse gezogen werden und versucht wird, neue Ideen politisch umzusetzen. Giedroyc´ politische Wahrnehmung Europas und der Nachbarschaften in Mitteleuropa hat mich, und auch meine Redaktionskollegen und -Kolleginnen, immer wieder inspiriert. Seine Charakterisierung der Rolle der „Kultura“ als „Experimentierwerkstatt“ beschreibt auch treffend die Arbeit des DIALOG in den letzten drei Jahrzehnten.

Liebe Leserinnen und Leser, ich verspreche Ihnen, dass wir alles Mögliche tun werden, um in den nächsten Jahren weiterhin eine inspirierende Werkstatt des Nachdenkens über Europa und die deutsch-polnische Nachbarschaft für Sie sein zu können. Ich freue mich auf den Weg, den unser deutsch-polnisches Magazin gemeinsam mit Ihnen in den nächsten Jahren gehen wird.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Basil Kerski