Romantische Mission: Reflexionen zum Jubiläum des Deutsch-Polnischen Magazins DIALOG

Als im Juni 1987 die erste Nummer des DIALOG erschien, vorerst nur 44 Seiten stark, aber schon mit farbigem Umschlag, gab es den Eisernen Vorhang, und auch die Berliner Mauer stand noch. Europa war geteilt. Weder die Wende in Ostmitteleuropa noch die Wiedervereinigung Deutschlands waren in Sicht. 

Und doch wurde über Teilung, Mauer und Eisernen Vorhang hinweg ein Dialog geführt. Begonnen hatte er in den sechziger Jahren als Dialog von Kirchenleuten, Intellektuellen und Diplomaten. In den siebziger Jahren dehnte er sich aus auf deutsche Heimwehtouristen, die ihre alte Heimat besuchten und auf polnische Studenten, die während der Ferien Jobs im Westen suchten. In den achtziger Jahren - zur Zeit der Solidarność und des Kriegsrechts in Polen - erfasste er durch das ungeheure Engagement der Deutschen, die an den "Paketaktionen" teilnahmen, Zehntausende von Deutschen und Polen, außerdem zahlreiche Kreise von Menschen, die private Kontakte über die Grenzen hinweg unterhielten. 

Die Deutsch-Polnischen Gesellschaften - das darf man getrost behaupten - waren Kinder der Ostpolitik Willy Brandts und der polnischen Revolution. Sie entstanden aus Interesse am unbekannten und doch so nahen Nachbarn und geleitet von dem Gefühl, das Ende der Geschichte sei noch nicht erreicht und ein echter Dialog zwischen den beiden Nationen beginne erst jetzt. 

Aus dieser Überzeugung heraus kam im Kreis der aktivsten Mitarbeiter der Deutsch-Polnischen Gesellschaften der verrückte Gedanke auf, eine Zeitschrift herauszugeben, die nicht nur die Aktivitäten der in verschiedenen Städten entstandenen Gesellschaften vernetzen, sondern auch als eine Art Flaschenpost zum Versand nach Polen dienen könnte. Zu diesem Zweck wurde eigens die "Arbeitsgemeinschaft deutsch-polnische Verständigung" unter der Leitung von Hartmut Reichardt ins Leben gerufen, einem Mitarbeiter der Evangelischen Akademie Loccum, die sich damals um die Organisation deutsch-polnischer Begegnungen sehr verdient gemacht hat. Hauptziel der "Gesellschaft", der Vorgängerin des heutigen Bundesverbandes der Deutsch-Polnischen Gesellschaften, die damals die Gesellschaften im norddeutschen Raum vereinigte, war eben die Herausgabe des DIALOG. 

Das Magazin war von Anfang an als deutsch-polnische Zeitschrift gedacht. In seinem Impressum wurde zwar als Chefredakteur Günter Filter genannt, doch von der ersten Ausgabe an gehörte zu dem kleinen Team, neben Karl-Heinz Kirchner und Volker Thomas, auch der schon aus der "Polityka" bekannte Adam Krzemiński. Das war ein Ereignis im geteilten Europa und zugleich ein verstecktes Symbol für den angestrebten deutsch-polnischen Charakter der Zeitschrift, die ab 1989 dann auch formell zwei gleichberechtigte Chefredakteure hatte. Teammitglied der ersten Stunde war auch Zygmunt Januszewski, der bis heute das Bild des Magazins wesentlich mitgestaltet. Bald darauf wurde Willy Wilczek unser technischer Redakteur, und die inhaltliche Redaktion erweiterte sich um die hervorragende Übersetzerin und sorgfältige Redakteurin Silke Lent sowie die junge Germanistin Anna Rubinowicz, spätere Korrespondentin der "Gazeta Wyborcza". 

In der romantischen Phase der "deutsch-polnischen Interessengemeinschaft" Anfang der neunziger Jahre sah sich das Team zwei besonderen Herausforderungen gegenüber. Zum einen die unterschiedlichsten Basisinitiativen der Gesellschaften zu verbinden, lokale deutsch-polnische Projekte zu unterstützen und das Forum für einen Erfahrungsaustausch zu schaffen, dem auch die alljährlichen Kongresse der in beiden Ländern entstehenden Gesellschaften dienten. Zum anderen dem Leser Hintergrundinformationen zu den aktuellen Ereignissen zu liefern und die Vorurteile und Klischees in beiden Ländern kräftig durchzulüften. 

Schon im ersten Editorial stellte der Herausgeber, die "Arbeitsgemeinschaft", ausdrücklich fest, dass der DIALOG eine überparteiliche Zeitschrift sein solle, deren Ziel die Förderung der deutsch-polnischen Versöhnung und die Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen in Vergangenheit, Gegenwart und möglicher Zukunft sei. Die Zeitschrift wollte zur Überwindung von Vorurteilen beitragen und verpflichtete sich zu einer ehrlichen, offenen - bewusst nicht aufstachelnden oder kritischen - aber auch nicht polemischen oder einseitigen Berichterstattung über die deutsch-polnischen Beziehungen. Wir wollten nicht Fürsprecher der einen oder der anderen Seite sein, sondern Ort der freundschaftlichen Auseinandersetzung und des gegenseitigen Meinungsaustauschs zwischen Polen und Deutschen. 

Der DIALOG hatte das Glück, dass er zur Zeit der Wende entstand. In der Volksrepublik Polen begegneten ihm die zuständigen Stellen - wie man damals sagte - mit Misstrauen, denn in der ersten Nummer erschien auf dem Umschlag eine Kinderzeichnung mit einem Adler mit Krone, aber auch wegen der beiden Polen in der Redaktion: Wie kam es dazu? Wer steht dahinter? Gleichzeitig war der Wind der Geschichte günstig für die Segel des DIALOG. Das Interesse an der Zeitschrift wuchs ebenso wie das Interesse an offeneren Beziehungen zu den Deutschen. In Deutschland wiederum genoss der DIALOG die Unterstützung aller Bundestagsfraktionen, der Bundesregierung und vieler Organisationen aus Gesellschaft und Wirtschaft, die die Finanzierung der nächsten Ausgaben ermöglichten. 

Natürlich hatte unser DIALOG auch seine etatmäßigen Feinde, die ewig Gestrigen, die das Bild vom "tausendjährigen Kampf zwischen Polen und Deutschen" pflegten, während wir, die wir uns dieses kriegerischen Strangs in der deutsch-polnischen Geschichte bewusst waren, versuchten, auch den anderen, den parallelen Strang der tausendjährigen deutsch-polnischen Symbiose zu zeigen. Deshalb druckten wir gern die Essays von Janusz Tazbir, Rudolf von Thadden, Klaus Zernack oder Włodzimierz Borodziej. 

Die Liste unserer Autoren sprach im übrigen für sich selbst, sie reichte von Willy Brandt und Jan Józef Lipski über Karl Dedecius, Günter Grass, Marion Gräfin Dönhoff, Peter Bender, Andrzej Szczypiorski, Rupert Neudeck, Hansjakob Stehle, Helga Hirsch, Hubert Orłowski, Mieczysław Tomala bis zu Donald Tusk und vielen, vielen anderen, die damals junge Journalisten waren und heute geradezu Klassiker der deutsch-polnischen Publizistik sind. 

Vor zehn Jahren hielt die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth anlässlich des Jubiläums des DIALOG eine schöne Rede, die zu zitieren wir uns heute nicht enthalten wollen: "Im DIALOG fanden beachtenswerte Diskussionen über die Wirtschaft, Politik und Kultur statt. Ein kaum zu überschätzendes Verdienst ist darüber hinaus die vielseitige Darstellung sowohl der deutschen Minderheit in Polen als auch der deutschen Polonia - der in Deutschland lebenden Polen. Heute ist dieses zweisprachige Magazin für jeden, der an der deutsch-polnischen Nachbarschaft interessiert ist, eine Informationsquelle von unschätzbarem Rang, aber auch - wie manchmal zu hören - eine Hilfe beim Erlernen der Sprache." Nebenbei bemerkt, unterstützte Frau Professor Süßmuth viele Jahre lang unsere Zeitschrift außerordentlich effektiv. 

Von Anfang an waren wir uns bewusst, die Herausgabe des Magazins allein in deutscher Sprache reiche nicht für die Förderung des Dialogs zwischen Polen und Deutschen aus. Deshalb war die Nummer 3-4 1993 von bahnbrechender Bedeutung, in der wir unseren Traum von der Herausgabe einer zweisprachigen Zeitschrift verwirklichen konnten, die dank der hervorragenden Arbeit vieler Übersetzer, darunter des früh verstorbenen Roman Polsakiewicz höchste Qualität in beiden Sprachen erreichte, was gerade in den deutsch-polnischen Publikationen einen sehr großen psychologischen Wert hat. 

Mit zeitlichem Abstand darf man wohl behaupten, dass in der "Sturm-und-Drang-Phase" der Neubildung der deutsch-polnischen Beziehungen im vereinigten Europa sowohl die Deutsch-Polnischen Gesellschaften wie auch das von ihnen herausgegebene Magazin bemüht waren, ihren deutlichen Beitrag einzubringen: manchmal sahen sie sich als eine Art Lobby, ein Bürgerfundament der neuen Beziehungen zwischen Deutschen und Polen, manchmal als eine Gruppe von Freunden, denen das Miteinander in einem großen Kreis von Idealisten, die für Dialog und Versöhnung eintreten, ganz einfach Spaß machte, und manchmal schließlich verband mehrere von uns eine Art romantischer Mission, dass wir es sind, die den Teufelskreis von Feindschaft, Misstrauen und Vorurteilen durchbrechen können. Heute kann man sagen, dass im Ungestüm der neuen Ordnung auch ein wenig von dem naiven Glauben steckte, die Prozesse, die sich in Europa vollziehen, seien unumkehrbar und die Zeit deutsch-polnischer Kriege gehöre der Vergangenheit an. Scherzhaft schrieben wir vom "Brötchenkrieg" in Frankfurt/Oder oder dem "Krieg der Resolutionen" 1998 im Zusammenhang mit den Erklärungen von Sejm und Bundestag, in dem Glauben, Deutschland und Polen, Deutsche und Polen seien imstande, Interessenkonflikte schnell und harmonisch durch Dialog, gegenseitiges Vertrauen und den Willen zur Verständigung zu lösen. Noch gab es keinen medialen Krieg um die Geschichtspolitik, keinen Streit um das unterschiedliche Verhältnis zu den USA und Russland, und keinem polnischen Politiker kam es in den Kopf, sich zu rühmen, keinerlei Kontakte zu deutschen Politikern zu unterhalten. 

Unter diesen Gesichtspunkten ist der DIALOG heute in einer schwierigeren Situation, als wir es waren. Deshalb unser Wunsch, dass der DIALOG und die Redaktion bis zum kommenden 30. Jahrestag der Gründung unserer Zeitschrift durchhalten. Das ist nicht wenig, zumindest bis auf weiteres … 

Aus dem Polnischen von Ulrich Heiße 

Günter Filter, Adam Krzeminski 

Von 1987 bis 1998 Chefredakteure des Deutsch-Polnischen Magazins DIALOG.