Leseprobe Ausgabe 110

Grafik: Wiesław Smętek
Grafik: Wiesław Smętek

Maria Janiszewska - Harmonie zwischen dem Verstand und der Art und Weise, wie die Welt funktioniert?

Gefühl und Glaube sprechen stärker zu mir

als des Weisen Monokel und Auge.

Adam Mickiewicz, Romantik (1822)

Vor ein paar Wochen erschien auf dem Markt der Roman eines Debütanten „niepotrzebne skreślić“ (Unzutreffendes streichen), des 21-jährigen Wojciech Engelking. Dieses Buch wird beworben als „erster Roman der Generation prekäre Arbeitsverhältnisse“. „Meine Generation ist keine Generation“, sagt der Autor zu Piotr Bratkowski in der Wochenzeitschrift „Newsweek“, „nur eine Ansammlung von Gleichaltrigen. Für meine eigenen Zwecke habe ich mir den Begriff ʻGeneration Fuzzieʼ ausgedacht. Eine Generation willenloser Menschen, die vom Lauf der Ereignisse mitgerissen werden. Das Imaginarium (in den Wörterbüchern für Umgangssprache und Slang bedeutet dieser Begriff auch Fernsehapparat, Anm. M.J.) meiner Generation, die Gesamtheit ihrer Bestrebungen und Vorstellungen von den wichtigsten Dingen – seinen Lebensunterhalt verdienen, feste Beziehungen eingehen – wurde von Leuten erdacht, die mindestens 10–15 Jahre älter sind. Nicht von denjenigen, die diese Freiheit erkämpft haben, sondern von denen, die sich zu Beginn dieses Jahrhunderts in dieser Freiheit wirtschaftlich und teilweise auch politisch wunderbar zurechtfinden. Im Gegensatz zu meinen Altersgenossen: wir kommen mit dieser von anderen erdachten Welt nicht klar. Wir versuchen aber auch nicht, eigene Vorstellungen über ein gutes Leben zu entwickeln.“

In den letzten hundert Jahren (1914–2014) glaubten die Polen, ein bewaffneter Konflikt zwischen den Teilungsmächten würde ihnen die Unabhängigkeit bringen, ein großer Krieg würde, selbst wenn er Jahre dauerte, schnell enden; nach 1921, glaubten sie, aus den ehemaligen Teilungsgebieten einen einzigen Wirtschaftsorganismus formen zu können, sie glaubten an die Abschaffung des Analphabetismus und an eine niedrige Arbeitslosigkeit, und in den 1930er Jahren an ihre militärische Stärke. Sie glaubten, Hitler werde sie nicht angreifen, und in jedem weiteren Jahr der Okkupation glaubten sie, es würde das letzte sein. Und am stärksten glaubten sie an Rettung.

Nach 1945 glaubte ein Teil an den Marxismus-Leninismus und erklärte seinen Beitritt zum „neuen Glauben“, motiviert von der Niederlage gegen die Deutschen, vom Scheitern des Warschauer Aufstandes, der Begrenztheit der westlichen Zivilisation, die den deutschen Tyrannen nicht aufhalten konnte, und ein anderer Teil an die Rückkehr von General Anders und an den Zusammenbruch des Kommunismus, der in Polen letztlich 45 Jahre dauerte. Sie glaubten an die Unfehlbarkeit des „Großen Linguisten“ Josef Stalin, an die schwarze Wolga-Limousine, an Władysław Gomułka und die polnische Automarke Syrena (Modell 100 bis 105), an stabile Preise (das Stück Butter für 17,50 Zloty), an Giereks Spruch „Der Pole kann´s“, aber auch an den schnellen Zusammenbruch der UdSSR, die von immer älteren Kreml-Gerontokraten regiert wurde. Sie glaubten an den Sieg der Arbeiter, an Johannes Paul II., an die Truppe um Lech Wałęsa und Solidarność, schließlich an den Erfolg der Gespräche am Runden Tisch und den des ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten im Ostblock.

Parallel dazu glaubten sie an Erholung im Rahmen der Arbeitnehmerurlaubsfonds und das weltläufige Leben im Urlaub in Bulgarien, an das Jungbrunnen-Torfelixier von Professor Tołpa, dass „sie“ Nachschub in die Läden bringen würden; sie glaubten an den Fußballstar Włodzimierz Lubański. Und an die Sängerin Maryla Rodowicz.

Seit 1989 schenkten die Polen ihr Vertrauen dem Kapitalismus, und obwohl sie seine Trugbilder kennen, sind sie ihm treu; offenbar hat die Generation, die in seiner Zeit erwachsen wurde, ihren Frieden mit ihm gemacht.

Immer glaubten sie an die Vorsehung.

Haben die Polen im letzten Vierteljahrhundert und besonders im 21. Jahrhundert, ihren Glauben, diesen persönlichsten Akt des Menschen, auf andere Werte ausgedehnt? Wie sieht heute ihr kultureller Raum aus? Gibt es allgemeine Werte, die sie neu prägen, bereichern, inspirieren? Natürlich, neben dem Glauben an den Rucksacktourismus, ein sorgloses Leben an den Stränden Ägyptens, an Vilcacora – „lebensspendende“ Kräuter direkt vom Amazonas, an Robert Lewandowski und an ihr Nationalheiligtum– Maryla Rodowicz.

Und sicher glauben sie immer noch an die Vorsehung.

Der Hipster, wie er ist

Eines der farbenfrohesten Bilder unseres Landes sind heute nicht die neuen Fabriken, die Schnellzüge oder die wohlgenährten Kühe auf den überall gut bestellten Feldern, sondern die unterschiedlichen Subkulturen; in den Großstädten fallen dabei am schnellsten die Hipster ins Auge. Wie der Hipster ist, sieht jeder, möchte man sagen, aber in Anwesenheit einer Person, die wie ein Vertreter dieser Gattung aussieht, schweigt man besser, denn erstens rebellieren Hipster gegen sich selbst, zweitens ist dieses Wort in der Popkultur selbst ein Synonym für „peinlich“, drittens weisen sie einen zurecht, man solle sie nicht in Schubladen einsortieren, viertens schließlich empfinden die Hipster selbst diese Bezeichnung als Beleidigung.

Der neue Hipsterismus steht am Beginn des 21. Jahrhunderts (ursprünglich entstanden ist er in den 1940er Jahren in den USA, als mit dem Wort „Hipster“ die weißen Fans des schwarzen Jazz bezeichnet wurden), seitdem kam es zu einer Übersättigung durch die amerikanische Fast-Food-Kultur, zu einem Ekel gegen alles, was die Massenkultur anbot, und als einzige Möglichkeit erschien die Akzeptanz jeglicher alternativer Lebensformen.

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