Editorial DIALOG | Ausgabe 113

Basil Kerski, Chefredakteur
Basil Kerski, Chefredakteur

2015 ist ein wichtiges Jahr für das polnische Theater: Vor 250 Jahren entstand in der alten Adelsrepublik das polnische öffentliche Theater und vor 100 Jahren wurde in Galizien Tadeusz Kantor geboren. Als charismatische Persönlichkeit der Malerei und des Theaters beeinflusste Kantor die moderne Kunst weit über die Grenzen Polens. Vor allem in Deutschland fanden seine Arbeiten großen Anklang, überhaupt war das Theater eines der Bereiche, wo es sehr früh nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu engen polnisch-deutschen Kooperationen kam. Erinnern wir hier etwa an die Zusammenarbeit Konrad Swinarskis mit dem West-Berliner Schillertheater oder Erwin Axers mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus. Über Jahrzehnte war Sławomir Mrożek einer der populärsten Theaterautoren in der Bundesrepublik. Beachtlich war der Einfluss der polnischen Dramaturgie auch in Ostdeutschland: Tadeusz Rόżewicz war im letzten Jahrzehnt vor dem Zusammenbruch des Realsozialismus der am meisten gespielte Autor auf den Bühnen der DDR. Heute knüpfen jüngere Künstler, wie Jan Klata oder Krzysztof Warlikowski, mit ihren bilateralen Bühnenproduktionen an die lange Tradition des deutsch-polnischen Theaterdialogs an. Wesentlich geprägt hat die deutsche Theaterkultur in den letzten Jahrzehnten Andrzej Wirth. Im neuesten DIALOG erzählt der polnische Kosmopolit im Gespräch mit Aneta Panek von seinem Leben und Wirken. Das von ihm 1982 in Gießen gegründete Institut für Angewandte Theaterwissenschaft bildete bedeutende Persönlichkeiten des deutschen Gegenwartstheaters aus, unter anderem Moritz Rinke, Rene Pollesch oder Tim Staffel. Uns als DIALOG-Redaktion interessieren aber nicht nur die deutsch-polnischen Verbindungen in der Theaterkunst. Mit der neuen Ausgabe wollen wir darauf aufmerksam machen, dass Theaterbühnen wichtige öffentliche Orte der Auseinandersetzung mit der Gegenwart sind. Sie spiegeln die Veränderungen unserer Gesellschaft wider, wie es im neuen DIALOG die Theaterkritiker Natalia Adaszyńska und Thomas Irmer betonen. Irmer weist vor allem darauf hin, wie sehr Künstler mit Migrationshintergrund das deutsche Theater bereichert haben. Das Berliner Gorki Theater unter der Leitung von Shermin Langhoff ist zu einem Symbol dieser kosmopolitischen Erneuerung geworden. Natalia Adaszyńska zitiert programmatisch die Regisseurin Anna Augustynowicz, die vom Theater eine ethische Perspektive einfordert. Das Theater sollte auf der Seite des Menschen stehen, so Augustynowicz, und die Fähigkeit besitzen, die von Menschen geschaffene Realität zu deuten.

DIALOG

Über Unterstützung freut sich das Team des Deutsch-Polnischen Magazins DIALOG

Unterstützung

des DIALOG durch Themen, Abonnements und Spenden.

Alle DIALOG-Ausgaben im ÜberblickAlle Ausgaben

Alle DIALOG-Ausgaben