Editorial DIALOG | Ausgabe 105

Basil Kerski, Chefredakteur Deutsch-Polnisches Magazin DIALOG
Basil Kerski, Chefredakteur

 

Welche großen Unterschiede in der Wahrnehmung des Zweiten Weltkrieges noch immer zwischen Polen und Deutschen vorherrschen, hat die jüngste Debatte um den deutschen Fernsehfilm „Unsere Mütter, unsere Väter“ verdeutlicht. Von den meisten deutschen Kritikern wurde der ZDF-Mehrteiler als bedeutendes Fernsehereignis, gar als beeindruckende historische Lektion gelobt. Weil polnische Partisanen als brutale Antisemiten dargestellt wurden, löste der Film hingegen in Polen eine Welle der Empörung hervor.

Unter dem Eindruck der ZDF-Fernsehproduktion kritisierte Polens Außenminister Radosław Sikorski in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ die „Ignoranz der Deutschen“ bei historischen Fragen: „Sie schämen sich für den Holocaust, und sie wissen, dass sie in Stalingrad geschlagen wurden. Aber sie geben sich wenig Mühe, zu erfahren, wie ihre Väter oder Großväter sich bei uns aufgeführt haben.“

In dem Weltkriegsdrama „Unsere Mütter, unsere Väter“ sei die Darstellung der Polen skandalös falsch. „Sie werden verstehen, dass wir es nicht gut vertragen, von Deutschen als Antisemiten stigmatisiert zu werden“, sagte Sikorski. Die Kritik der polnischen Seite nahm das ZDF auf und produzierte kurzerhand einen Dokumentarfilm über den polnischen Untergrundstaat, der vom deutsch-polnischen Regisseur Andrzej Klamt gedreht wurde. Doch damit ist die Debatte nicht beendet.

In der vorliegenden DIALOG-Ausgabe präsentiert Adam Krzemiński als Reaktion auf die neueste deutsch-polnische Geschichtsdebatte eine originelle Idee: Deutsche und Polen sollten einen gemeinsamen Spielfilm über Warschau 1944 produzieren. Die polnische Widerstandsbewegung sei in der deutschen Filmkultur bislang ein weißer Fleck gewesen, die deutsche Besatzung Polens eine Lücke im breiten deutschen Geschichtsbewusstsein, so Krzemiński. Eine deutsch-polnische Koproduktion würde nicht nur die Perspektive der polnischen Opfer zeigen, sondern auch die andere Seite, die der deutschen Besatzer reflektieren. Nur durch die Verbindung dieser beiden Perspektiven, der Täter und Opfer, könne man eine Bewusstseins- und Wissenserweiterung in der breiten deutschen Öffentlichkeit erreichen. Wir hoffen, dass Adam Krzemińskis Idee bald umgesetzt werden kann – zumal es in der jüngsten Filmgeschichte viele erfolgreiche deutsch-polnische Koproduktionen gab, so zuletzt Agnieszka Hollands oscarnominiertes Holocaust-Drama „In der Dunkelheit“.

Basil Kerski

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