Editorial DIALOG | Ausgabe 104

Basil Kerski, Chefredakteur
Basil Kerski, Chefredakteur des Magazins DIALOG

 

Das heutige, durch Krisen geschwächte Europa, braucht Politiker vom Format Bronisław Geremeks - Staatsmänner, die es verstehen, nationale und europäische Interessen zusammen und nicht gegeneinander zu denken. Vor genau fünf Jahren kam Geremek in einem Autounfall ums Leben. In einem Nachruf charakterisierte Paul Lendvai treffend den ehemaligen polnischen Außenminister: "Zur Zeit des großen Ausverkaufs der europäischen Werte und des Aufstiegs stromlinienförmiger Opportunisten fallen die Masken der Politiker von Berlin bis Warschau, von Wien bis Budapest. Bronisław Geremek trug nie eine Maske."

Die neue Ausgabe des DIALOG eröffnen wir - quasi programmatisch - mit einem Porträt von Bronisław Geremek aus der Feder von Reinhold Vetter. Dieser Text ist ein Fragment aus Vetters Geremek-Biografie, die im Herbst im Berliner Wissenschafts-Verlag erscheinen wird. Es ist die zweite politische Biografie, die von dem langjährigen Mitarbeiter unseres Magazins verfasst worden ist. Vor drei Jahren veröffentlichte Vetter eine exzellente Wałęsa-Biographie, die im Mai dieses Jahres auch in polnischer Sprache im renommierten W.A.B.-Verlag erschienen ist.

Sehr geehrt fühlten sich die Leser unseres Magazins und Mitglieder der Deutsch-Polnischen Gesellschaften, als Geremek am 10. November 2006 in Berlin die Festrede zum 20. Geburtstag der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband hielt. Vor uns stand ein Mann, der viel Leid von Deutschen erfahren hatte. Sein Vater wurde in Auschwitz ermordet; er, sein Bruder und seine Mutter überlebten den Holocaust. Trotz dieser Traumata trat Geremek nach dem Krieg für die Versöhnung mit den Deutschen ein. Er kam im Herbst 2006 nach Berlin in Sorge um die Zukunft der deutsch-polnischen Verständigung, in Sorge um die Qualität der politischen Beziehungen zwischen Warschau und Berlin. Er, dem Frankreich und die französische Kultur so nahe waren, wusste, dass Europa ohne eine enge deutsch-polnische Zusammenarbeit nicht funktionieren könne. Geremek nutzte damals den Geburtstag des Dachverbandes der DPGs, um die Rolle der Zivilgesellschaften in Europa hervorzuheben. Und er kam auch deshalb nach Berlin, um in Zeiten wachsender nationaler Egoismen daran zu erinnern, dass internationale Politik nicht alleine durch Interessen definiert werden kann. Frieden und Wohlstand könne man in Europa nur auf dem Fundament der Brüderlichkeit mehren. Geremek betonte damals: "In der Politik spielen Interessen die Hauptrolle. Aber Zusammenarbeit, Freundschaft und Brüderlichkeit haben ihre Bedeutung. Man kann auch sagen, positive Emotionen seien den Interessen förderlich. Ich wünsche mir, dass zwischen Polen und Deutschen nicht nur ein Gefühl der Interessengemeinschaft existiert, sondern auch eine emotionale Bindung, die unser Vertrauen zueinander ausdrückt. Wenn wir Vertrauen haben, werden wir alle Herausforderungen der Zukunft bewältigen." (DIALOG Nr. 77-78/2007) Diese Lektion sollten wir heute nicht vergessen.

Basil Kerski

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