Editorial DIALOG | Ausgabe 103

Basil Kerski, Chefredakteur Deutsch-Polnisches Magazin DIALOG
Basil Kerski, Chefredakteur

 

"Ich bin nicht dazu da, geliebt und bewundert zu werden, sondern um zu handeln und zu lieben. Es ist nicht Pflicht meiner Umgebung, mir zu helfen, sondern ich habe die Pflicht, mich um die Welt, um den Menschen zu kümmern." Diese Worte schrieb Janusz Korczak 1942 in sein Tagebuch. Im Warschauer Ghetto begann er wenige Wochen vor seinem Tod ein Tagebuch zu führen. Korczaks Notizen beinhalten nicht nur Bilder aus dem Leben im Ghetto, mit ihnen zieht er auch die Bilanz seines Lebens.

Korczaks Aufzeichnungen sind ein Zeugnis des geistigen Widerstandes im Warschauer Ghetto, des Bemühens um den Schutz der Menschenwürde vor der barbarischen Vernichtungspolitik der deutschen Besatzer. 70 Jahre nach Ausbruch des Aufstandes im Warschauer Ghetto wird in diesem Frühjahr in Polens Hauptstadt das Museum der Geschichte der polnischen Juden eröffnet. Dieses Ereignis haben wir zum Anlass genommen, um uns Korczak, der Symbolgestalt der polnisch-jüdischen Kultur, anzunähern und der Frage nachzugehen, wie das jüdische Erbe heute in Polen gepflegt wird. Die Erinnerungskultur haben wir nicht aus der Perspektive der kulturellen Zentren zu beschreiben versucht.

Katarzyna Weintraub hat uns in die Provinz geführt, wo - begünstigt durch die Dezentralisierung - in vielen kleinen Gemeinden Vereine und Stiftungen entstanden sind, die das Erbe der polnischen Juden sichern und an die jüngere Generation weiterreichen. Diese Initiativen decken nicht nur die kulturelle und ethnische Vielschichtigkeit polnischer Geschichte auf, sondern stellen oft auch nationalistische Identitätsmodelle in Frage. In einfache Identitätsmuster passt nicht die Familiengeschichte von Joanna Olczak-Ronikier hinein. In ihrem beeindruckenden Buch "Im Garten der Erinnerung", das 2006 auch auf Deutsch erschienen ist, erzählt sie die wechselvolle europäische Geschichte ihrer polnisch-jüdischen Familie. Ihre Mutter Hanna Mortkowicz-Olczak veröffentlichte nach dem Krieg die erste Korczak Biografie. Joanna Olczak-Ronikier folgte ihrer Mutter und brachte im vergangenen Jahr ein Buch über Korczaks Leben heraus. Anna Mateja besuchte in Krakau im Auftrag des DIALOG die erste Ehefrau des legendären Polen-Korrespondenten Ludwig Zimmerer. Olczak-Ronikier will mit ihrem Buch kein neues Korczak-Denkmal errichten, sondern interessiert sich für den modernen Menschen Korczak, fragt nach der Aktualität seines Denkens.

Kein Interesse an Mythenbildungen hat auch Paweł Śpiewak, Direktor des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau. Inspiriert von den im Ghetto entstandenen Erinnerungen Korczaks zeichnet Śpiewak in seinem DIALOG-Essay das Bild eines Einzelgängers. In Korczak erkennt Śpiewak einen Menschen, der in keinerlei politische und kulturelle Muster hineinpasste, daher oft die Einsamkeit erleben musste; einen Menschen auf ständiger Suche, auf der Suche nach dem Religiösen.

Basil Kerski

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