„Die Entdeckung einer neuen Speise fördert das Glück der Menschheit mehr als die Entdeckung eines neuen Sterns.“ Dieser geniale Aphorismus des französischen Schriftstellers und Gourmets Anthèlme Brillat-Savarin beschreibt treffend die Bedeutung der kulinarischen Kultur – sowohl ihren Einfluss auf das Wohlempfinden von Individuen und als auch auf die Förderung des Gemeinschaftsgefühls zwischen den Menschen. Eine kulinarisch unterentwickelte Gesellschaft ist nicht nur arm an sinnlichen Erfahrungen, sie tendiert auch zur Verschlossenheit.
Kulinarische Offenheit fördert hingegen die Kultur der Begegnung, des Dialogs. Für den Warschauer Koch Wojciech Modest Amaro dient das gemeinsame Mahl vor allem dem Gespräch, dem Austausch der Erfahrungen. „Es geht ja schließlich nicht nur darum, etwas zu essen, sondern auch etwas zu erfahren“, unterstreicht Amaro in einem Gespräch mit der Schriftstellerin Agnieszka Drotkiewicz. Das Interview mit Amaro eröffnet einen umfangreichen Themenblock über die deutsche und polnische Küche in der neuen Ausgabe unseres Magazins.
Die Bedeutung der Kochkunst für die Kommunikation zwischen den Menschen vergleicht Amaro mit der der Sprache. Der Warschauer Star-Koch zählt zu den Erneuerern der polnischen Kochkultur, die durch den letzten Weltkrieg und die kommunistische Mangelwirtschaft zerstört wurde. Wie ein Kulturhistoriker rekonstruiert Amaro verschüttete Traditionen, um anschließend als Künstler traditionelle Rezepte mit modernem, kulinarischem Wissen zusammenzuführen. Meisterküche wie Wojciech Modest Amaro haben eine Renaissance der kulinarischen Kultur Polens bewirkt, die zwar noch nicht alle Familien und Lokale erreicht hat, doch ein Bild vermittelt von den neuen Ambitionen und Sensibilitäten vieler Polen. Eine ähnliche Renaissance hat die deutsche kulinarische Kultur vor allem in den letzten drei Jahrzehnten dank des breiten Wohlstands erfahren können.
Die neue kulinarische Aufgeschlossenheit der Deutschen hat nicht nur zu neuen Einflüssen südeuropäischer und exotischer Kulturen auf die deutsche Gastronomie geführt, sondern auch die regionalen Traditionen gestärkt. Die deutsche Kultur ist damit vielfältiger und attraktiver geworden. Wir hoffen, dass die Lektüre der im neuen DIALOG vorgestellten Texte Ihnen viel Freude bereitet, Sie zu neuen kulinarischen Abenteuern und damit zu Initiativen der Versöhnung inspiriert – denn wie Sie wissen, „man könnte nach einem guten Essen jedem vergeben, selbst seinen eigenen Verwandten“ (Oscar Wilde).
Basil Kerski
